Schiefergas-Boom in den USA: Fehlbohrung
In den Vereinigten Staaten zeichnet sich bereits das Ende des Schiefergas-Booms ab. Auch in Deutschland werde das Potenzial der Vorkommen völlig überschätzt, warnen Experten. Die Förderung ist mit gravierenden Eingriffen in die Umwelt verbunden – zurück bleiben verödete Landschaften und verseuchte Böden.
Energie, reichlich und billig, das ist es, wonach die Welt giert. Da kommen Berichte über das vermeintliche Schiefergaswunder in den Vereinigten Staaten so manchem Politiker gerade recht, auch in Deutschland. Denn hierzulande werden ebenfalls größere Vorkommen vermutet. Frohe Botschaften wie diese sind höchst willkommen, suggerieren sie doch, dass sich das Ende des fossilen Zeitalters vielleicht doch noch ein bisschen länger hinauszögern lässt. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt die Vorkommen auf 700 bis 2300 Milliarden Kubikmeter. Laut einer Studie des Bundesumweltamtes könnte Deutschland damit seinen Bedarf gut 13 Jahre lang decken.
Es gibt jedoch Wissenschaftler, die diesen Optimismus entschieden dämpfen: „Ich halte es für eine große Illusion, dass die Förderung von Schiefergas einen nachhaltigen und langfristigen Beitrag zur Energieversorgung in Deutschland leisten kann“, warnt Physiker Werner Zittel, Vorstand der renommierten Ludwig-Bölkow-Stiftung, ein unabhängiges Beratungsinstitut für Energiefragen. „Da darf man sich nichts vormachen, Gas aus Schiefergestein herauszupressen ist viel schwieriger und teurer als die herkömmliche Gasförderung. Dass es trotzdem gemacht wird, ist ein Eingeständnis, dass die guten Zeiten in der Gasförderung vorbei sind. Die Explorationsfirmen haben nichts Besseres mehr.“
Lediglich ein kleiner Bruchteil der Reserven in Deutschland kann laut Zittel rentabel genutzt werden. Denn der in Gestein gebundene Rohstoff lässt sich nur mit der aufwendigen und umweltschädlichen Fracking-Methode fördern. Dabei wird das Gestein im Untergrund zertrümmert, anschließend wird das Gas mit einem giftigen Chemikalien-Mix herausgelöst. Ein umstrittenes Verfahren, gegen das sich dies- und jenseits des Atlantiks der Widerstand formiert, weil es die Umwelt zerstört und das Grundwasser vergiftet.
Die Angaben über Schiefergasreserven in Deutschland hält Zittel für irreführend. „Das ist eine Milchmädchenrechnung. Was im Gestein vorhanden ist, das ist eine Sache. Wie viel und mit welchem Aufwand man es rausholen kann eine andere“, erklärt der Wissenschaftler, der die Gasindustrie seit Jahren beobachtet. Alle bisherigen Ressourcenschätzungen für Deutschland seien sehr unsicher.
Vor allem in Nordrhein-Westfalen werden große Lagerstätten vermutet, mit bis zu 2000 Milliarden Kubikmeter Gas. Diese auszubeuten würde jedoch einen gravierenden Eingriff in die Landschaft bedeuten. „Dafür müsste man Abbauflächen von 20 000 Quadratkilometern rasterartig erschließen. Das wäre ein Gebiet knapp halb so groß wie Niedersachsen. Das bedeutet alle zwei bis fünf Kilometer einen Bohrturm und Anlagen für Abwasserentsorgung, Gasaufbereitung und -transport.“ So etwas sei in Deutschland politisch nicht durchsetzbar, „dafür ist das Gebiet viel zu dicht besiedelt“, glaubt der Physiker.
Eines der größten technischen Probleme bei Schiefergas ist die Förderrate, die viel schneller sinkt als bei konventionellen Gasfeldern. „Wir sprechen hier von einem Abfall in der Förderung von 50 bis 80 Prozent pro Jahr“, präzisiert Zittel. Deshalb müssten die Schiefergasfirmen in den USA jeden Monat viele neue Bohrungen über einem Feld setzen, nur um die Produktion konstant zu halten. Ergebnis ist ein Bild der Verwüstung wie in den Förderregionen im Nordosten der USA. Zurück bleiben verödete, verseuchte Landschaften.
In der Politik stoßen Bedenken, die Wissenschaftler wie Zittel äußern, auf wenig Gehör. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) schloss zuletzt nicht aus, dass es eine Förderung in Deutschland unter Auflagen geben wird. Letztendlich ist die Entscheidung darüber aber Ländersache. Auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger glaubt an das Schiefergaspotenzial von Deutschland. Er meint, dass sich damit die Abhängigkeit vom Lieferanten Russland senken ließe. „So ein Unsinn“, sagt Zittel. „Da wird die falsche Hoffnung genährt, dass sich die rückläufige Gasförderung in Europa wieder anheben lässt. Tatsächlich aber wird man den Rückgang allenfalls abmildern können. Schiefergas ist höchstens eine kurzfristig Blase.“
Auch der Gashype in den USA könnte schneller vorbei sein als erwartet. „In Nordamerika zeichnet sich bereits das Ende des Schiefergas-Booms ab“, meint Zittel. Führende Produzenten wie Chesapeake und XTO, das inzwischen zu Exxon gehört, wurden in den 90er-Jahren gegründet und sind heute milliardenschwer. „Aber sie haben auch Milliardenschulden angehäuft, ihr Geschäftsmodell gerät derzeit ins Wanken“, sagt Zittel. „Das System bricht dann zusammen, wenn der Boom seinen Scheitelpunkt erreicht und nicht genügend neue Quellen erschlossen werden. Dann nehmen die Firmen nicht mehr genug ein, um ihre Schulden finanzieren zu können. Tatsächlich haben fast alle Schiefergasfirmen seit 2009 rote Zahlen geschrieben.“
Da passt es für Zittel ins Bild, dass die amerikanische Energiebehörde EIA die Angaben über die Schiefergasvorräte des Landes in diesem Jahr deutlich nach unten korrigiert hat, um 42 Prozent auf 13 Billionen Kubikmeter. Die Meldung ging jedoch im Wahlkampfgetöse unter. In einigen Regionen zeichne sich bereits eine Stagnation oder ein Rückgang der Förderung ab. Betroffen davon seien Felder wie Barnett Field, Fayetteville und Haynesville in den Staaten Arkansas, Lousiana und Texas.
Tatsache ist, dass die Einnahmen der Gasförderer zuletzt deutlich gesunken sind, vor allem aber weil der Gaspreis in den USA im vergangenen Jahr noch einmal um fast 50 Prozent eingebrochen ist. Zittel vermutet aber noch einen anderen Grund: „Es besteht der Verdacht, dass sich die Konzerne mit überzogenen Grundstückwerten schöngerechnet haben. Das hat eine Zeit lang funktioniert, solange durch den Boom der Wert der Grundstücke gestiegen ist.“ Dass es für die Firmen eng wird, lässt sich auch daran ablesen, dass die Nummer zwei der Branche Gasvorkommen in Texas verkauft, um ihre Schulden abzubauen, außerdem soll die Produktion gedrosselt werden. Auch andere große Spieler wie BP, Encana und die britische BG Group mussten bereits milliardenschwere Wertberichtigungen auf ihr Schiefergasgeschäft vornehmen.
Erschienen am 21. Oktober 2012 in der Süddeutschen Zeitung