Sofies verkehrte Welt

Die Große Transformation in der Landwirtschaft

Das Ende des Erdölzeitalters, der Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung bedrohen das wichtigste, was wir haben: Unsere Ernährungsgrundlage. Lösungsansätze für ein besseres Wirtschaften – eine Analyse:

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Endstation Schlachthof: Rinder in Brasilien. Foto: sia

 

  • Die Weltbevölkerung wächst, sie will ernährt werden. Die Frage ist wie und womit?
  • Der Klimawandel und Raubbau durch den Menschen verwandelt fruchtbare Erde in  Wüste, in unbrauchbares Land. Böden erodieren.
  • Das Wasser wird verschmutzt und knapp. Die zur Verfügung stehende Anbaufläche wird weniger.

Gründe gibt es viele: die Ausbreitung von Siedlungen, Versteppung, Bodenerosion, Bodenversiegelung. Durch Fracking drohen zum Beispiel riesige Flächen in Nordamerika unbrauchbar zu werden, weil das Grundwasser vergiftet ist. Gleichzeitig verlieren immer mehr Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern ihre Lebensgrundlage, weil sie von ihrem Land vertrieben werden und sich nicht mehr selbst versorgen können.

Das einzige was kaum wächst, ist die weltweite landwirtschaftliche Produktion. Der Durchschnitt liegt bei etwas mehr als einem Prozent pro Jahr. Trotz modernster Technik, Pestiziden, und Gentechnik. Phosphat, ein wichtiger Grundstoff für Dünger wird knapp. Die Herstellung vieler Düngemittel und Pestizide hängt vom Erdöl ab.

Das reicht nicht um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Die Menschen in Ländern wie China, in denen der Wohlstand wächst, werden es sich nicht nehmen lassen, mehr Fleisch zu essen und das treibt auch den Bedarf an Tierfutter nach oben. Wie lösen wir dieses Dilemma?

Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass „ein weiter so“ nicht funktionieren wird. Es reicht auch nicht aus, an ein paar Stellschrauben zu drehen. Die Landwirtschaft braucht eine Wende, sie steht vor einem großen Umbruch. Und der wird ganz sicher nicht reibungslos ablaufen, so viel steht jetzt schon fest. Dafür sind zu viele Wirtschaftsinteressen im Spiel. Es geht um Milliardenumsätze und darum, wer die Ernährungsgrundlage kontrolliert.

Die Fragen, die sich stellen: Wie lässt sich die Produktion steigern und zwar so, dass Ressourcen wie Böden und Wasser geschont werden. Wie kann verlorener Boden wieder gut gemacht werden. Welche Düngemittel, welches Saatgut brauchen wir, was ist besser? konventionelle Agrarwirtschaft oder ökologischer Landbau. Wie umgehen mit Landrechten, Stichwort: Landraub, Ackerland als Investitionsobjekt?

Wer diese Probleme lösen will, braucht neue Denkansätze und Visionäre. Und einen davon will ich Ihnen jetzt vorstellen:

Den amerikanische Wissenschaftler Howard-Yana Shapiro. Er hat einen neuen, sehr interessanten Ansatz entwickelt, um den Hunger zu kämpfen. Bekannt geworden ist er mit der Entschlüsselung des Kakao-Genoms, das er zur Verwunderung der gesamten Fachwelt kostenlos und frei zugänglich im Internet veröffentlicht hat, damit Züchter auf der ganzen Welt damit arbeiten können.

Shapiros Botschaft ist klar: Lasst uns alles was wir haben, auf den Tisch legen, lasst uns gemeinsam forschen. Nur so erreichen wir das bestmögliche Ergebnis. Sein Ansatz der Open-Source-Forschung könnte die gesamte Pflanzenzucht revolutionieren. „Öffnet eure Tresore und teilt mit uns eure Schätze,  damit wir die Zuchtgeschwindigkeit beschleunigen können“, fordert er.

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Der US-Wissenschaftler Shapiro hat das Genom der Kakaopflanze entschlüssselt und im Internet veröffentlicht. Kostenlos. Foto: sia

Das ist das Gegenprogramm zum Geschäftsmodell von Saatgutriesen wie Monsanto oder DuPont Pioneer, die ihre Züchtungen mit Patenten schützen, sodass diese für andere Züchter nicht zur Verfügung stehen. Auch sie versprechen, wir ernähren die Welt. Das ist allerdings mehr als Drohung, denn als Versprechen zu verstehen.

Für Shapiro führt dieser Weg jedoch geradewegs in eine Sackgasse. Er ist überzeugt: Ansätze wie der seine könnten der Saatgutforschung einen gewaltigen Schub bringen. Shapiro will es beim Kakao nicht dabei belassen. Er ist bereits einen Schritt weiter und will jetzt den Gencode von 100 afrikanischen Nutzpflanzen knacken. Hilfe bekommt er dabei von chinesischen Forschern.

Profitieren sollen davon alle – kostenlos.

„Wenn es uns gelingt, das Erbgut der wichtigsten afrikanischen Nahrungspflanzen zu entschlüsseln, können wir Millionen von Leben retten.“ Davon ist er überzeugt. 80 Prozent der in Afrika eingesetzten Samen wird immer noch von Kleinbauern vermehrt. „Mit gezielter Zucht können wir den Ertrag erheblich steigern, ohne ein einziges Gen verändern zu müssen“, erläutert er. „Wenn wir es nicht machen, wer wird es dann tun?“, fragt er. Die großen internationalen Agrarfirmen haben kein Interesse daran, weil sie damit kein Geld verdienen können. Aber genau diese Pflanzen sind wichtig, um die Versorgung in den afrikanischen Ländern zu sichern.

Auf die Forscher wartet eine Herkulesaufgabe. Die Analyse der 100 Pflanzen ist ein Kraftakt, an dem 250 Wissenschaftler und 500 Techniker in den nächsten Jahren arbeiten werden. Das Erbgut wird vor allem von chinesischen Wissenschaftlern am Beijng Genomic Institute (BGI) entschlüsselt. Das BGI gilt international als erste Adresse der Genanalyse. Züchter in afrikanischen Ländern werden gleichzeitig geschult. Sie sollen die Zucht später vorantreiben. Partner des 40-Millionen-Dollar-Projekts sind unter anderem das wirtschaftliche Entwicklungsprogramm der Afrikanischen Union (NEPAD), das Beijing Genomic Institute (BGI), der WWF, die University of California sowie die Firmen Mars und Life Technologies.

Das Gegenprogramm läuft bereits, auch auf afrikanischem Boden, Monsanto will dort mit Hilfe der Gates-Stiftung der Gentechnik zum großen Durchbruch verhelfen. Da sind Milliarden-Beträge im Spiel. Fraglos wird auch hier versucht, besseres Saatgut zu entwickeln, Pflanzen die etwa trockenresistent sind und weniger anfällig für Schädlinge. Allerdings mit Gentechnik, die eine Patentierung von Pflanzen überhaupt erst möglich macht. Damit werden alte Abhängigkeiten zementiert und neue geschaffen. Denn gentechnisch verändertes Saatgut kostet nicht nur viel Geld, sondern ist auch nicht weiter vermehrbar. Bauern müssen jedes Jahr neues Saatgut kaufen.

Es ist ein Kampf mit ungleichen Waffen. Für die Open-Source-Forschung von Shapiro bedarf es einer öffentlichen Finanzierung. Das Modell braucht gesellschaftlichen Konsens und zwar auf internationaler Ebene. Die Pflanzenzüchtung allein in die Hände von Firmen wie Monsanto, Bayer, BASF oder Syngenta zu legen, wäre ein großer Fehler, denn sie handeln im Sinne ihrer Aktionäre, aber nicht im Sinne der Gemeinschaft. Doch die Ernährungsgrundlage gehört eindeutig in den Bereich der öffentlichen Güter und hier muss sich auch die Politik und die Gesellschaft einmischen und Regeln aufstellen, die es bislang nicht gibt. Ein erster wichtiger Schritt dahin wäre etwa ein Verbot von Patenten auf Pflanzen und Tiere.

Neue Ideen sind auch gefragt, wenn es darum geht, Böden fruchtbar zu machen und fruchtbar zu halten. Und da will ich jetzt bewusst nicht auf den Streit eingehen, ob der ökologische Landbau die allein heilsbringende Methode ist. Diese Auseinandersetzung wird inzwischen, wie die Auseinandersetzung um Gentechnik, zu sehr auf der ideologischen Eben geführt – und nicht auf einer sachlichen, was notwendig wäre, um Nutzen- und Schadenspotential abzuwägen.

Auch an dieser Stelle will ich einen interessanten Ansatz ins Spiel bringen, der vielleicht seinen Teil zur Lösung beitragen kann. In diesem Fall geht es um den Dünger der Zukunft, einen Stoff der genau genommen aus der Vergangenheit kommt. Pflanzenreste, etwa von gedroschenem Getreide, Holzabfälle oder Klärschlamm können als Klimaretter und Spitzendünger wertvolle Dienste leisten. Bio- oder Pflanzenkohle heißt der Stoff, von dem sich Agrar- und Klimaforscher viel erhoffen. Hergestellt wird er bei Temperaturen von mehr als 700 Grad Celsius. Versuche haben gezeigt, dass sich die Biokohle eignet, um ausgelaugte Böden wieder fruchtbar zu machen. Positiver Nebeneffekt des Düngers: Er bindet auch große Mengen klimaschädliches CO2.

Tomaten auf eine Großemarkt in Vietnam.   Foto: sia
Tomaten auf eine Großemarkt in Vietnam. Foto: sia

Archäologische Funde haben gezeigt, dass schon die Bauern vor Hunderten von Jahren diesen natürlichen Dünger zu schätzen wussten, um ihre Ernteerträge zu steigern. So haben die Bauern im Amazonas das schwarze Ackergold – auch Terra Preta genannt – eingesetzt, um die mageren Urwaldböden fruchtbarer zu machen und deren Erosion zu stoppen. Im Laufe der Zeit geriet diese Technik jedoch völlig in Vergessenheit. Doch seit einigen Jahren erlebt sie ein Comeback. Der große Vorteil für die Bauern liegt unter anderem darin, dass der Dünger, vermischt mit Kompost, langfristig wirkt und somit dem Landwirt jede Menge Geld und Arbeit ersparen kann.

Ob dieser Stoff auch massentauglich ist, muss sich erst noch zeigen, und es bedarf auch hier der Forschung. Vor allem aber muss Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Die beiden Ansätze haben jedoch eine ganz entscheidende Schwäche: Es lässt sich damit nicht das große Geld verdienen. Noch schlimmer: Sie könnten die Agrarindustrie um ihre Umsätze bringen. Und das wird man dort sicher nicht so einfach hinnehmen. Deshalb darf man die Gefahr nicht unterschätzen, dass gute Vorschläge in der Schublade verschwinden, weil sie ökonomische Interessen derjenigen untergraben, die mit der Landwirtschaft Geld verdienen.

Auf den Äckern wird schon jetzt erbittert um die Vorherrschaft gestritten. Und es fließt immer mehr Geld in dieses Geschäft. Auch Kapitalanleger haben inzwischen entdeckt, dass sich mit Spekulationen auf Ackerland und Agrarrohstoffe ein guter Schnitt machen lässt.  Das Geschäft mit dem Hunger kommt gerade erst richtig in Fahrt. Weitgehend unreguliert. Ich habe erst vor zwei Wochen mit einem Finanzinvestor gesprochen, der Land in Rumänien im großen Stil erwirbt, um Getreide anzubauen. Seinen Anlegern verspricht er eine Rendite von 7 bis 15 Prozent auf den Kapitaleinsatz. Manche Investoren versprechen bis zu 25 Prozent. Ein Geschäft mit fatalen Nebenwirkungen: Die Bevölkerung des Landes verliert den Zugang zu ihrem Ackerland, muss Lebensmittel teurer einkaufen. In afrikanischen Ländern, wo Gesetze ganz fehlen, werden Menschen einfach vertrieben.

Was tun: Landwirtschaft braucht Investitionen, keine Frage. Aber diese Investitionen brauchen Regeln und die fehlen. Doch sie sind notwendig, auf der Erde ist inzwischen eine Landfläche von der Größe Frankreichs in den Händen von Finanzinvestoren. Darunter sind staatliche Fonds etwa aus Saudi-Arabien, Weltkonzerne, Banken, Versicherungen und Privatinvestoren. An den internationalen Börsen, an der Wall Street gibt es eine Börsenaufsicht, Kontrollen und Vorgaben für Anleger. Über die Äcker dieser Welt wacht niemand. Genau diese Lücke muss geschlossen werden auf internationaler Ebene, verbindlich. Doch diese Diskussion hat bislang noch gar nicht richtig begonnen.

Wenn wir von Lösungen für die Landwirtschaft von morgen reden, muss es auch um die kleinen regionalen Lösungen gehen, um eine Landwirtschaft, die die dortige Bevölkerung ernährt und verhindert, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen und zu Flüchtlingen werden. Manchmal sind es schon die kleinen Lösungen, die große Wirkung haben. Im folgenden Fall geht es um die Sicherung von Wasserressourcen.

Das westafrikanische Land Burkina Faso liegt in der Sahelzone und gehört zu den  ärmsten der Welt zählt. Der Staat liegt in einer Region, die unter extremer Trockenheit leidet, die durch die Klimaerwärmung noch verschärft wird. Immer mehr Menschen flüchten aus dem Land, weil sie kaum noch Überlebenschancen sehen.  In einem kleinen Dorf mit dem Namen Djomga ist eine Wende gelungen.

In einer extrem heißen Region, in der die seltenen Niederschläge so heftig ausfallen, dass fruchtbarer Ackerboden einfach weggeschwemmt wird, schuf sie mit einfachen Mitteln eine blühende Landschaft mit Gemüse- und Obstgärten, von der das ganze Dorf gut leben kann. Die Erfolgsgeschichte begann mit dem Bau eines Wassersammelbeckens und Bewässerungsanlagen. Die Helferin brachte den Menschen bei, wie sie den Anbau verbessern können. Das funktioniert so gut, dass die Dorfgemeinschaft inzwischen einen Teil ihrer Ernte verkaufen kann. Es bleibt sogar Gewinn übrig. Er gibt den Menschen nicht nur Zuversicht, sondern sichert das Überleben in ihrer Heimat. Die Lösung für ein großes Problem kann also ganz einfach sein: Ein Wassersammelbecken.

Wasserknappheit, Umweltverschmutzung und der Klimawandel zählen zu den großen Herausforderungen, die die Landwirtschaft bewältigen muss. Es bedarf großer Anstrengungen, um die Weltbevölkerung zu ernähren, die bis 2050 von derzeit knapp sieben Milliarden auf neun Milliarden wachsen wird. Zugleich verschärfen sich die Anbaubedingungen für die Erzeuger.

Vor mehr als zehn Jahren berief die Weltbank den Weltagrarrat, in dem sich mehr als 500 Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen zusammenfanden. Aufgabe des Gremiums war es, die Ursachen für Hunger und Armut zu analysieren und Handlungsempfehlungen für die Agrarpolitik zu entwickeln, auch im Hinblick auf den Klimawandel. Der Bericht, den der Rat schließlich 2008 vorlegte, sorgte für eine Überraschung und stieß in Industriekreisen und in der Politik auf Ablehnung. Denn die Experten forderten einen radikalen und systematischen Wandel. Sie sprachen sich dafür aus, die ökologische Landwirtschaft zu forcieren. Den massiven Einsatz von Gentechnik, synthetischen Düngemitteln und Pestiziden lehnten sie ab.

Die Vorschläge des Agrarrates verschwanden in den Schubladen, doch die Probleme bleiben. Die Landwirtschaft gilt als Klimakiller Nummer eins. Fast 40 Prozent der Treibhausgase wie CO 2, Lachgas und Methan werden direkt oder indirekt durch die Agrar- und Lebensmittelproduktion verursacht. Die Branche ist auch der größte Wirtschaftszweig der Erde, von dem immerhin 40 Prozent der Weltbevölkerung leben, unter ihnen ein Heer von Kleinbauern, die auf geringsten Flächen den größten Teil der Lebensmittel anbauen.

Landwirtschaft braucht nicht nur Regeln, sondern auch Ziele.

Und die zu setzen darf nicht großen Agrarkonzernen überlassen werden. Die wollen die Welt ernähren und dem Markt kontrollieren – und kräftig dabei abkassieren. Auf der Suche nach zukunftsfähigen Modellen für die Landwirtschaft sind Politik und Gesellschaft gefragt.

Vortrag von Silvia Liebrich, Wirtschaftsredakteurin, Süddeutsche Zeitung, Tutzinger Transformations Tagung,  Erfolgreiche Wege zur Großen Transformation, 8.-10. November 2013,  Veranstalter: Evangelische Akademie Tutzing, Gesprächskreis „Die Transformateure – Akteure der Großen Transformation“, Umweltbundesamt

Liebrich_Landwirtschaftswende, als pdf

Link: Evangelische Akademie Tutzing