Sofies verkehrte Welt

Gefährliche Geheimnisse

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU stößt auf massive Kritik. Und die ist berechtigt. Denn es ist völlig unklar, was genau da verhandelt wird. EU-Kommission und US-Regierung setzen auf Geheimhaltung. Ein Kommentar:

Verhandelt wird im Geheimen. Details bleiben unter Verschluss. Wer jetzt aber denkt, dass von der neuesten Spionagetätigkeit des US-Geheimdienstes NSA die Rede ist, liegt falsch. Es geht um das größte Handelsabkommen der Welt. Dieser Vertrag soll der ganz große Wurf werden, für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit 800 Millionen Menschen. Das Projekt mit dem sperrigen Namen Transatlantisches Freihandelsabkommen – kurz TTIP – soll Europa und die USA einander noch ein Stück näher bringen. Das klingt zunächst einmal gut, ist es aber leider nicht, zumindest nicht aus Sicht der Bürger. So viel zeichnet sich nach Analyse der wenigen Informationen ab, die bislang bekannt sind.

Was für Folgen ein Abkommen mit den USA für Standards in der Geflügelmast hätte, etwa bei Puten, ist unklar.  Foto: sia
Was für Folgen ein Abkommen mit den USA für Standards in der Geflügelmast hätte, etwa bei Puten, ist unklar. Foto: sia

Geradezu alarmierend ist es da, dass die meisten Europäer vom TTIP noch nie etwas gehört haben. Und das, obwohl die zweite Verhandlungsrunde gerade abgeschlossen wurde und die Eckpfeiler im Januar stehen sollen. Abgesandte der EU- und der US-Handelsdelegationen schachern hinter verschlossenen Türen. Nicht einmal das EU-Parlament ist involviert. Außen vor bleiben auch Sozial-, Umwelt- und Verbraucherverbände, also jene zivilgesellschaftlichen Gruppen, die das Korrektiv einer jeden funktionierenden Demokratie sind. Dafür bekommen 600 Berater, die meisten stammen aus der Wirtschaft, exklusiv Zugang zu Dokumenten, dürfen ihre Wünsche einbringen.

Allein schon die Art und Weise, wie die Gespräche bisher geführt und vorbereitet wurden, verstößt gegen demokratische Grundprinzipien. Deshalb dürfen sie so, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch nicht weitergeführt werden. Die EU-Kommission mit ihrem Chefverhandler Karel De Gucht muss schleunigst für Transparenz sorgen. Geheimhaltung ist hier völlig fehl am Platz, dafür ist das Abkommen viel zu wichtig. Es hat weitreichende Folgen für Millionen von Menschen in Europa und den USA. Ist das Freihandelsabkommen erst mal unterzeichnet, gibt es kein Zurück mehr. Jeder kleinen Anpassung müssten dann alle Unterzeichner zustimmen. Deshalb ist es wichtig, Details offenzulegen und zu diskutieren, und zwar bevor Eckpunkte festgezurrt sind.

Dass die Geheimniskrämerei nichts Gutes verheißt, macht ein Blick in die Vergangenheit deutlich. Schon einmal haben sich internationale Konzerne, OECD-Staaten und die EU an einem „Multilateralen Investitionsabkommen“ – kurz MAI – versucht. Ziel war es auch damals, die Rechte von Investoren deutlich zu stärken, auf Kosten der Bürger. Das liegt jetzt 15 Jahre zurück. Doch die unschönen Details sind frühzeitig durchgesickert. Das Vorhaben scheiterte am Widerstand von Parlamenten und Öffentlichkeit.

Vieles von dem, was schon damals auf der Agenda stand, findet sich noch immer auf den Wunschlisten der Industrie. Und dabei geht es nicht um so banale Dinge wie das Streichen von Zöllen oder Exportquoten. Diese sind bereits weitgehend abgebaut im Handel zwischen den USA und Europa. Es geht auch nicht nur um Chlorhühnchen, Hormonfleisch oder Gentechnik auf dem Teller oder einheitliche Sicherheitsstandards für Autobremsen.

Besonders kritisch ist etwa der geplante weitreichende Investitionsschutz für Unternehmen. Der würde den politischen Handlungsspielraum von Regierungen dramatisch einschränken, etwa beim Umweltschutz. Nur ein Beispiel: Kanada hat aus Schutzgründen ein Fracking-Moratorium für Schiefergasvorkommen verhängt. Nun verklagt eine US-Firma das Land auf 250 Millionen Dollar Schadenersatz wegen der zu erwartenden Gewinnausfälle. Grundlage dafür ist das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA. Zahlen müssen die Zechen die Steuerzahler, also die Bürger.

Details über ein ähnliches Abkommen der USA mit den Pazifikstaaten, die über die Enthüllungsplattform Wikileaks durchgesickert sind, zeigen, wohin die Reise sonst noch geht. So wollen die USA deutliche Einschnitte bei Freiheitsrechten im Internet durchsetzen. Hinzu kommt ein weitreichender Schutz für die Pharmaindustrie, der Medikamente und Operationen teuer macht. Das EU-Parlament und der Bundestag dürfen sich nicht mit zweifelhaften Prognosen der Wirtschaft zufriedengeben, die Jobs und Wachstum versprechen. Einen faulen Kuhhandel, mehr Macht für die Industrie im Tausch gegen Bürgerrechte, darf es nicht geben. Aufgabe der Parlamente ist es, das zu verhindern. Transparenz ist auf diesem Weg der erste wichtige Schritt.

Erschienen am 20. November 2013 in der Süddeutschen Zeitung