Sofies verkehrte Welt

Die Angst  vor Hungerrevolten

Wall street
Die Wall Street in New York – ein Eldorado für Spekulanten aus aller Welt. Foto: fotolia

Bezahlbare Lebensmittel sind ein Menschenrecht. Doch der Handel mit Agrarrohstoffen ist auch ein lukratives Geschäft, in das immer mehr Finanzinvestoren einsteigen. Über die Frage, welchen Einfluss Agrarspekulanten auf die Preise haben, wird heftig gestritten.

Es wird seit Jahren verhandelt, doch eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Welthandelsorganisation (WTO) steckt in einer Sackgasse fest. Auch der neue Anlauf, den Welthandel zu liberalisieren scheint zum Scheitern verurteilt. Aber es sind nicht etwa Zölle auf High-Tech-Produkte oder Autos, die eine Einigung der 159 beteiligten Staaten scheinbar unmöglich machen. Es geht um ein ganz anderes, viel schlichteres, dafür umso mächtigeres Problem: die Frage der Ernährungssicherheit und die Angst einiger Länder vor Hungerrevolten.

Momentan werden vor allem Indien und 40 weitere Entwicklungs- und Schwellenländer dafür verantwortlich gemacht, dass die Verhandlungen feststecken. Indien beharrt darauf, staatliche Nahrungsmittelreserven anzulegen, um seine Bevölkerung in Krisenzeiten mit billigen Lebensmitteln versorgen zu können. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man annehmen. Doch genau das verstößt gegen die Regeln der WTO. Aus deren Sicht gelten Käufe und Verkäufe zu festgelegten Preisen als Subventionen und sind daher nur in eng begrenztem Rahmen erlaubt.

Dieses Beispiel macht deutlich: Bezahlbare Lebensmittel, die in ausreichender Mengen zu Verfügung stehen, sind ein politisches Druckmittel, das keine Regierung auf dem Globus ignorieren kann. Eine wachsende Rolle bei der Entwicklung von Nahrungsmittelpreisen spielen hier die Finanzmärkte. Banken, Investmentfonds und andere Geldgeber stehen im Verdacht mit ihren Kapitalanlagen das Hungerproblem zu verschärfen. Und immer mehr Anleger drängen in den Agrarmarkt. Das muss nicht schlecht sein, ohne Investitionen kann sich die Landwirtschaft nicht weiter entwickeln. Doch je mehr Geld in den Sektor fließt, umso größer wird die Gefahr, dass sich schädliche Blasen bilden. Lebensmittelpreise können dann leicht außer Rand und Band geraten.

Über die Frage, ob Spekulanten mit ihren Investitionen in Grundnahrungsmittel oder Ackerland das Hungerproblem verschärfen oder gar lindern können, ist in den vergangenen zwei Jahren ein heftiger Streit entbrannt. Hilfsorganisationen wie Oxfam und die Verbraucherschützer von Foodwatch werfen der Finanzbranche vor, Hungerkrisen auszulösen. Unter Beschuss stehen hierzulande vor allem die Deutschen Bank und der Versicherer Allianz. Während einige Finanzkonzerne inzwischen bekannt gegeben haben, dass sie künftig auf Spekulationsgeschäfte an den Agrarmärkten verzichten wollen, sind die beiden großen Spieler zuletzt hart geblieben – nun will sich die Deutsche Bank zumindest teilweise zurückziehen. Dieser Kurswechsel ist erstaunlich, schließlich hat das Bankhaus noch vor wenigen Wochen bestritten, dass Finanzinvestoren das Hungerproblem verschärfen.

In Wissenschaftskreisen wird das Thema höchst kontrovers diskutiert. Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hat erst vor zwei Wochen eine weitere Studie dazu vorgelegt. Deren Fazit: Finanzspekulationen können sehr wohl einen Einfluss auf Lebensmittelpreise haben. Dass Finanzinvestoren mitverantwortlich sind am Hunger auf der Welt, ist demnach nicht von der Hand zu weisen. Autor der Studie ist Professor Hans-Heinrich Bass, der an der Hochschule Bremen das Institut für Weltwirtschaft und Internationales Management leitet. Die Deutsche Bank hat dem zuletzt widersprochen und sich dabei auf Studien des Wittenberger Ethikprofessors Ingo Pies und des Agrarökonomen Thomas Glauben aus Halle berufen. Danach haben Finanzspekulationen keinen Einfluss auf die Entwicklung von Nahrungsmittelpreisen.

Bei der Allianz will man sich gar nicht erst auf eine wissenschaftliche Diskussion gar einlassen. „Unsere Rolle als verantwortungsbewusster Investor an den Warenterminbörsen empfinden wir als sinnvoll“, heißt es in einem Offenen Brief der Allianz an Oxfam vom Oktober. Man respektiere die wissenschaftlichen Erkenntnisse, verlasse sich dann aber lieber doch auf eigene interne Berechnungen. Ein Ausstieg aus dem physischen Handel mit Agrarrohstoffen, wie ihn nun die Deutsche Bank angekündigt hat, sei für die Allianz ohnehin kein Thema, sagte ein Sprecher am Donnerstag, „weil wir uns an diesem Geschäft nie beteiligt haben“. Das Unternehmen mischt aber in Terminmarktgeschäften mit. Es handelt also mit Finanzprodukten, die mit Rohstoffen unterlegt sind.

Tatsache ist, dass die Notierungen für Agrarrohstoffe seit der Jahrtausendwende deutlich zugelegt haben und die Kursschwankungen stärker geworden sind. Erst vor 13 Jahren wurden die internationalen Börsen auch für reine Finanzmarktprodukte wie Index- oder Hedgefonds geöffnet. Diese handeln meist nicht mit der Ware selbst, sondern setzen etwa auf fallende oder steigende Preise. In diesem kurzen Zeitraum hat sich das Handelsvolumen in dem Bereich laut Bass verzehnfacht und liegt nun bei 340 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Aus wissenschaftlicher Sicht ist dieser Zeitraum jedoch zu kurz, um valide Aussagen treffen zu können, wie hoch der Einfluss von Spekulanten auf Nahrungsmittelpreise tatsächlich ist. Halbherzige Versuche, etwa in den USA oder Frankreich, den Handel mit Nahrungsmitteln an den Finanzmärkten zu regulieren, haben bislang wenig Wirkung gezeigt.

Erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 6. Dezember 2013

 

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