Die Macht der Zuckerlobby
Fettsucht, Diabetes, Karies, Krebs, sogar Alzheimer werden mit dem Konsum von viel Zucker in Verbindung gebracht. Nicht nur Wissenschaftler, auch die Weltgesundheitsorganisation schlägt Alarm. Die WHO will nun die täglich maximal empfohlene Zuckermenge halbieren. Die Lebensmittelindustrie setzt viel daran, um das zu verhindern. Zucker versüßt viele Nahrungsmittel. Sogar saure Gurken oder Schinken lassen sich so besser verkaufen. Den Konsumenten schmeckt es und das sichert der Branche hohe Umsätze und Gewinne. Mit millionenteuren Kampagnen versucht die Zuckerindustrie das angekratzte Image des Süßmachers aufzupolieren. Sie kann dabei auf mächtige Verbündete in der Politik zählen. Die Parallelen zur Tabakindustrie sind nicht zu übersehen.

Das ging der Bush-Regierung dann doch zu weit. Als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor gut zehn Jahren eine Kampagne gegen den hohen Zuckerkonsum starten wollte, sorgte das für reichlich Ärger. Vertreter aus der Lebensmittel- und Zuckerindustrie machten Druck in Washington. Gegenstudien wurden ins Feld geführt. Sie sollten nachweisen, dass Zucker nicht nur harmlos, sondern gar gesund sei. Millionen von Dollar flossen in Kampagnen für den süßen Stoff. Gekämpft wurde mit harten Bandagen. Ein internes Papier der Industrie, das inzwischen an die Öffentlichkeit durchgesickert ist, trägt den Titel „WHO War Plan“ – WHO Kriegsplan.
Dies alles sollte die Gesundheitswächter der Vereinten Nationen von ihrem Vorhaben abbringen, den süßen Stoff als ungesund zu brandmarken. Als das alles nichts half, musste der damalige US-Gesundheitsminister ran. Tommy Thompson intervenierte am Stammsitz der WHO in Genf. Die US-Regierung drohte damit, ihr 400-Millionen-Dollar-Budget für die Organisation zu kürzen. Doch die ließ sich nicht beirren und senkte die empfohlen Zuckermenge von 25 auf 10 Prozent des täglichen Kalorienbedarfs.
Zehn Jahre später zeigt sich immer deutlicher, dass selbst diese Obergrenze zu hoch sein könnte. Auch dieses Mal wird die Ernährungsbranche das vermutlich nicht einfach so hinnehmen. Die deutsche Zuckerindustrie hat sich bereits gewappnet. So gab die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker vor zwei Jahren bis zu drei Millionen Euro aus, um den angekratzten Ruf des Zuckers – der als Nahrungsmittel, aber auch als Genussmittel angesehen wird – aufzupolieren. Laut Verband ging es darum „der oft unreflektierten Kritik am Produkt Zucker mit ernährungswissenschaftlicher Aufklärung zu begegnen“.
Ergebnis der Kampagne ist zum Beispiel die Internet-Plattform www.mitZucker.de. Dort wird die Botschaft verbreitet, dass der Süßmacher nicht nur fit, sondern auch schlank mache. Unter der Rubrik „Zucker – der natürliche Fitmacher“ rührt unter anderem Triathlon-Europameister Andreas Raelert die Werbetrommel. Wissenschaftliche Erklärungen sehen anders aus.
[box] Nahrung wird in Zukunft immer knapper. Die wachsende Weltbevölkerung will ernährt werden. Investitionen in Ackerland und Agrarrohstoffe gelten als sichere Bank. Internationale Lebensmittelkonzerne kontrollieren inzwischen einen großen Teil der Versorgung mit Nahrung – und sie spielen dabei nicht immer mit offenen Karten. Mehr zum Thema Ernährung…[/box]
Lebensmittelhersteller geben in Deutschland Milliardenbeträge für Marketing aus. Große Konzerne wie Coca-Cola, Nestlé und Unilever investieren viel Geld in Sport- und Kultur-Events. Besonders ins Visier nehmen die Firmen dabei Kinder und Jugendliche. Hier eine Gratis-Limo, dort ein Schokoriegel zum Probieren – das kommt gut an. Immer häufiger schicken die Konzerne ihre Vertreter auch in Schulen, um über gesunde Ernährung aufzuklären, wie es heißt. Ernährungsexperten und Verbraucherschützer sehen das allerdings mit wachsender Besorgnis.
Marketingexperte Tobias Effertz von der Universität Hamburg kritisiert die aggressive Werbung, mit der die Hersteller Kinder für ihre Produkte gewinnen wollen. Die deutsche Ernährungsbranche gebe pro Jahr etwa drei Milliarden Euro für Marketing aus, ein Viertel davon für Süßwaren und Schokolade, sagt er. „Kinder sind für die Lebensmittelhersteller eine wichtige Klientel. Sie bestimmen mit, was im Einkaufswagen landet“, sagt er. 15 bis 20 Milliarden Euro im Jahr, so hoch sind die Ausgaben für Nahrungsmittel, die Effertz zufolge direkt von den Jüngsten beeinflusst werden. Das ist viel und entspricht mindestens einem Zehntel des ganzen Umsatzes mit Lebens- und Genussmitteln hierzulande. Das Gesamtvolumen liegt bei 175 Milliarden Euro, wovon 22 Milliarden auf Tabakprodukte entfallen.
Marketingexperte Effertz erwartet, dass sich die Industrie mit aller Macht gegen die WHO-Pläne zur Wehr setzen wird. „Das haben wir auch am Kampf der Branche gegen die Ampelkennzeichnung gesehen“, ergänzt Effertz. Ob zu viel Zucker in einer Limo oder im Joghurt steckt, wäre dann leicht auf der Verpackung erkennbar gewesen. Groß war die Angst bei Herstellern, dass sie ein rotes Signal wegen zu viel Zucker, Salz oder Fett Umsatz kosten könnte. Etwa eine Milliarde Euro gab die Lebensmittelindustrie aus, um die Dreifarbenlehre im Ladenregal zu verhindern. Ein großer Teil davon floss in die Entwicklung einer von der Industrie favorisierten Kennzeichnung, die deutlich unübersichtlicher ist.
Der Einsatz hat sich gelohnt. Mit einer knappen Mehrheit stimmte das EU–Parlament 2010 gegen die Einführung der Ampel. Die Industrie setzte ihr Modell durch. Effertz sieht im Kampf der Lebensmittelindustrie deutliche Parallelen zur Tabakindustrie. „Es geht darum, mit viel Geld und Einfluss Lobbyismus zu betreiben, um gesetzliche Regelungen zu verhindern.“ Hinzu komme, dass die Lebensmittelbranche für Imagekampagnen viel mehr finanziellen Spielraum habe als die Tabakindustrie. Während es beim Tabak aber keine Zweifel gibt, dass er der Gesundheit schadet, ist die Lage beim Zucker komplizierter.
Die Abwehrmechanismen der Industrie gleichen sich über die Branchen hinweg. Das stellt auch Eric Wesselius von der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory fest. „Negative Effekte werden geleugnet, kritische Studien als unwissenschaftlich abgetan“, sagt er. Es sei immer das gleiche Muster. Egal, ob es nun um Zucker, Gentechnik oder Tabak gehe.
Was genau die Lebensmittelbranche in der EU und Deutschland ausgibt, um Einfluss auf Politik und Verbraucher zu nehmen, bleibt im Dunkeln. In der EU müssen solche Ausgaben im Gegensatz zu den USA nicht in einem Lobbyregister veröffentlich werden. Auskünfte sind freiwillig. Fest steht aber: Vor allem die deutsche Zuckerindustrie hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, dass die WHO ihre Pläne einstampft. Südzucker und Nordzucker sind die größten Zuckerkonzerne in Europa und kommen zusammen auf einen Marktanteil von mehr als 40 Prozent. Seit Sommer vergangenen Jahres ermittelt das Bundeskartellamt – wegen illegaler Preisabsprachen.
Erschienen am 21. Januar 2014 in der Süddeutschen Zeitung
Mehr dazu hier:
Zucker ist Gift – WHO erarbeitet neue Leitlinien
Alle lieben Süßes. Morgens Zucker im Kaffee, nachmittags Kuchen. Oft packt uns dann das schlechte Gewissen. 33 Stückchen Würfelzucker oder knapp 100 Gramm: So viel Zucker isst jeder Deutsche im Schnitt pro Tag. Zu viel Zucker ist ungesund, das weiß jeder. Dass sich aber der größte Teil der Tagesration – 83 Prozent – in verarbeiteten Produkten verbirgt, wissen die wenigsten. Zucker steckt nicht nur in Süßigkeiten und Softdrinks, sondern auch in unverdächtigen Lebensmitteln wie Joghurt, Krautsalat und Brot. Vor allem dieser unbewusste Zuckerkonsum sei schädlich, warnen Wissenschaftler wie Professor Robert Lustig von der University of California in San Francisco. Der Amerikaner ist ein bekannter Experte für Hormonstörungen und Übergewicht bei Kindern. Er sagt: “Unser jetziges Ernährungssystem bringt uns um. Und die Lebensmittelindustrie hat keine Anreize, das zu ändern, weil sie gut damit verdient.” weiterlesen…
Links:
Canadian Medical Association Journal: Sugar industry sour on WHO report
Guardian: Sugar intake must come down, says WHO – but UK likely to resist