Sofies verkehrte Welt

TTIP: Das Versagen von Politik und Medien

Der Widerstand gegen das Wirtschaftsabkommen zwischen den USA und Europa wächst und ein schneller Abschluss der Gespräche wird immer unwahrscheinlicher. Nicht nur die EU-Regierung muss sich Fehler bei der Kommunikation vorwerfen lassen. Auch Parlamente und Medien haben sich zu lange mit spärlichen Informationen zufriedengegeben.

Es soll der ganz große Wurf werden, das größten Handelsabkommen der Welt, das Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP. Ein sperriger Begriff, mit dem die wenigsten Deutschen etwas anfangen können. Ist jedoch vom Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union die Rede, dann ist alles klar. Die Bandbreite der Reaktionen reicht von Erstaunen über Unverständnis bis zu völliger Ablehnung. Begeisterten Zuspruch gibt es dagegen selten. Es ist vor allem die Geheimniskrämerei, die viele Bürger misstrauisch macht –  nicht nur in Europa, sondern auch in den USA.

Geheimsache Freihandelsabkommen: Die Geheimniskrämerei hat großen Schaden angerichtet.   Foto: iStock
Freihandelsabkommen unter Verschluss: Die Geheimniskrämerei hat großen Schaden angerichtet. Foto: grandaded/iStock

Der Mangel an Informationen über die Gespräche ist ein fruchtbarer Nährboden für Spekulationen. Diffuse Ängste entstehen. Verbraucher fürchten nicht nur Chlorhühnchen oder Gentechnik auf dem Teller, sondern auch das Droharsenal internationaler Konzerne, die unter dem Deckmantel des geplanten Investorenschutzes Milliardenklagen gegen Regierungen anzetteln könnten. Manche dieser Bedenken sind sicher berechtigt, andere nicht. Mangels Fakten lässt sich das aber schwer feststellen.

Der Widerstand gegen das Abkommen ist inzwischen so groß, dass ein schneller Abschluss der Gespräche immer unwahrscheinlicher wird. Selbst ein Scheitern der Gespräche ist nicht auszuschließen. Längst sind es nicht mehr nur Bürgerrechtler und Umweltaktivisten, die Sturm laufen gegen das Vorhaben. Auch beim normalen Volk, das sich sonst nicht für die Demos oder Handelsabkommen interessiert, wächst die Kritik an dem, was „die da oben“ über ihre Köpfe hinweg festzurren wollen.

Vom wachsenden Volkszorn geht ein Risiko für den Erfolg der Gespräche aus. Für die Europäischen Kommission und den zuständigen Handelskommissar Karel De Gucht könnte sich das Freihandelsabkommen zu einem Desaster entwickeln, wie zuvor das Anti-Piraterie-Abkommen Acta. Das löste eine so große Welle des Protestes aus, dass das EU-Parlament 2012 schließlich seine Zustimmung verweigerte. Noch steht die Mehrheit des jetzigen EU-Parlaments hinter den Vorhaben, die Wirtschaftsräume von EU und USA noch enger aneinanderzubinden. Doch im Mai werden die Karten neu gemischt. Dann wählen die Europäer ihr neues Parlament. Das macht TTIP auch zu einem heißen Wahlkampfthema.

[box] Weltweiter Handel schafft Wohlstand. Doch nicht alle profitieren gleichermaßen. Zwischen den mächtigen Wirtschaftsnationen ist ein harter Wettkampf entbrannt um die Vorherrschaft im internationalen Handel. Besonders umstritten ist Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit zwischen den USA und der Europäischen Union verhandelt wird. Mehr zum Freihandelsabkommen… [/box]

Dass das umstrittene Wirtschaftsabkommen inzwischen auf breite Ablehnung stößt, haben sich EU-Kommission und Handelskommissar De Gucht selbst zuzuschreiben. Viel zu wenig haben sie im Vorfeld über den Inhalt und die Ziele der Gespräche preisgegeben. Öffentlichkeit und Medien wurden über das ganze Ausmaß des Abkommens im Unklaren gelassen. Verhandelt wird im Geheimen. Erst nach und nach sickerte durch, dass die Wirtschaftslobby nicht nur bevorzugt eingebunden wurde, sondern auch ihre Wunschlisten vorlegen durfte. Vertreter der Zivilgesellschaft, also Sozial-, Umwelt- und Verbraucherverbände, müssen dagegen hart um Informationen kämpfen.

Aber nicht nur die EU-Regierung muss sich Fehler bei der Kommunikation vorwerfen lassen. Auch Parlamente und Medien haben viel zu lange stillgehalten und sich mit den spärlichen Informationsbrocken zufriedengegeben, die ihnen das TTIP-Verhandlungsteam von Zeit zu Zeit vorwarf.

Was da genau seit vergangenem Juni bei den Runden in Brüssel und Washington ausgehandelt wird, wollten Journalisten anfangs nicht so genau wissen. Wirtschaftsabkommen sind im Detail kompliziert, schwer verständlich und langweilig, und die Erfahrungen mit früheren Fällen haben gezeigt, dass sich eine Berichterstattung erst so richtig lohnt, wenn ein Ergebnis auf dem Tisch liegt. Doch TTIP ist kein Standardfall. Inzwischen ist klar, dass es bisher kein Abkommen gibt, das so in die Tiefe geht und nahezu alle Bereiche der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens einschließt. Das hat Folgen für den Alltag aller Amerikaner und Europäer.

Aber auch die Parlamente der EU-Länder zeigten sich desinteressiert oder – noch schlimmer – fühlten sich nicht zuständig. Zwar haben sie die Verhandlungen legitimiert, indem sie der EU-Kommission ein Mandat erteilten. Doch das allein reicht nicht. Die Vertreter im Bundestag hätten nachhaken müssen. Ihre Aufgabe wäre es zudem gewesen, über Chancen und Risiken eines Abkommens besser aufzuklären, anstatt nur auf Studien zu verweisen, die von der Wirtschaftslobby finanziert wurden.

Doch in Berlin hatten sie seit vergangenen Sommer anderes zu tun: erst die Bundestagswahl, dann wochenlange Koalitionsverhandlungen. Bei Detailanfragen ihrer Wähler zum Abkommen haben einige Bundestagsabgeordnete in Berlin noch vor zwei Monaten abgewunken und auf Vertreter im EU-Parlament verwiesen. Ende Januar wurde bekannt, dass den Abgeordneten im Bundestag mindestens 200 Dokumente zu den Verhandlungen vorliegen müssten. Ob diese Papiere auch gelesen wurden, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt.

Handelskommissar De Gucht steht inzwischen mächtig unter Druck. Er will seine politische Karriere unbedingt mit einem erfolgreichen Abschluss des Abkommens zwischen den USA und der EU krönen. Doch die wachsende Kritik macht einen schnellen Erfolg immer unwahrscheinlicher. Eigentlich sollte ein Vertragsentwurf bis Ende des Jahres vorliegen, auch die amerikanische Seite drückt aufs Tempo. Inzwischen ist jedoch frühestens von Mitte 2015 die Rede.

Um seinen Kritikern den Wind etwas aus den Segeln zu nehmen, will De Gucht das besonders umstrittene Investitionsschutzabkommen nun öffentlich diskutieren. Details zum geplanten Vertrag will er im März vorlegen. Auch andere Vertreter der EU-Handelskommission bemühen sich darum, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Sie reisen durchs Land, stellen sich bei öffentlichen Diskussionsrunden ihren Kritikern und versuchen Bedenken und Vorbehalte auszuräumen.

Die Einsicht, dass mehr Transparenz nötig ist, kommt spät. Doch Transparenz allein wird nicht reichen. TTIP kann nur erfolgreich sein, wenn es nicht allein ein Abkommen für die Wirtschaft, sondern auch für die Bürger ist. Doch diesen Nachweis bleiben die Verhandlungsführer bislang schuldig.

 

Veröffentlicht am 9. Februar 2014 auf sofies-verkehrte-welt.de