Tiere essen: Die Schlacht am Küchentisch
Fleisch essen – oder doch lieber nicht? Eine heikle Frage, die immer häufiger für heftige Diskussionen sorgt, auch im engsten Familien- und Freundeskreis. Wenn der heimische Esstisch jedoch zum ideologischen Schlachtfeld verkommt, läuft etwas grundsätzlich schief. Ein Plädoyer für mehr Toleranz.
An dieses Szenario werden sich viele Fleischesser noch gewöhnen müssen: Da sitzen sie in gemütlicher Runde mit Freunden am Esstisch und müssen plötzlich feststellen, dass sie die Einzigen sind, die sich noch gern ein Schnitzel oder einen Schweinsbraten auf den Teller laden. Umgeben von Vegetarierern oder Veganern geraten Fleischliebhaber schnell in Erklärungsnot. Warum Tiere verspeisen, obwohl die doch in der Massentierhaltung gequält und ausgebeutet würden? Warum Fleisch essen, obwohl doch klar sei, dass das nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Umwelt schadet? Bei solchen Diskussionen können Allesesser eigentlich nur verlieren.

So schnell können sich die Dinge ändern. Jahrelang waren es die Vegetarier, die ihre Enthaltsamkeit gebetsmühlenartig erklären mussten, ohne wirklich auf Verständnis zu stoßen. Ihr Anteil liegt in Deutschland inzwischen bei neun Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Trend zeigt eindeutig nach oben und er zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft. Vor allem bei den unter Dreißigjährigen gibt es viele Anhänger. Einige gehen sogar noch einen Schritt weiter und verzichten ganz auf tierische Produkte, auch auf Eier, Milch und Käse. Es ist kein Zufall, dass vegane Kost bei der diesjährigen Biofach-Messe in Nürnberg hoch im Kurs stand.
Erschreckend ist jedoch die Kompromisslosigkeit, mit der Fleischesser und Verweigerer mitunter aufeinanderlosgehen, wenn es um den Ernährungsstil geht. So mancher heimische Esstisch ist inzwischen zu einem ideologischen Schlachtfeld verkommen. Jeder will seinen Willen durchsetzen. Da kann es passieren, dass ein Veganer das gemeinsame Frühstück verweigert, weil andere Familienmitglieder nicht auf ihr Brötchen mit Schinken und das weich gekochte Ei verzichten wollen. Selbst vor den Kleinsten macht der Kleinkrieg ums Essen manchmal nicht halt. Umgekehrt gibt es Fleischliebhaber, die in Schnappatmung verfallen, wenn sie nur einen Tag in der Woche auf ihr Steak und ihre Wurst verzichten sollen. Das zeigt die zum Teil groteske Debatte über den Vorschlag der Grünen, einen Veggie-Day einzuführen.
Es ist höchste Zeit, die tiefen Gräben wieder zuzuschütten und das Für und Wider sachlich zu betrachten. Fest steht: Wer viel Fleisch isst, verursacht jede Menge schädlicher Treibhausgase. Der Anbau von Futter strapaziert zudem Böden und Wasserreserven. Aber auch Vegetarier und Veganer essen nicht nur umweltfreundlich. Sie ernähren sich unter anderem von Soja, das zu Milch, Käse und Fleischersatzprodukte verarbeitet wird. Der Grundstoff dafür kommt häufig aus Süd- oder Nordamerika, wo die Pflanze in riesigen Monokulturen angebaut wird. Das ist nicht gerade förderlich für die Natur, auch wenn unbestritten ist, dass der weit aus größere Teil des Sojas am Ende als Tierfutter dient.

Bekannt ist auch, dass übermäßiger Fleischkonsum nicht gerade förderlich für die Gesundheit ist. Studien zeigen: Vegetarier leben länger. Ihr Risiko, Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu bekommen, ist geringer als bei Fleischessern. Bei Veganern kann das schon anders aussehen. Menschen, die dauerhaft auf jede Form von tierischen Produkten verzichten, können durchaus unter Mangelerscheinungen leiden.
Der Grund, warum viele Menschen darauf verzichten, Tiere zu essen, ist aber nicht die Sorge um ihre Gesundheit. Mehr als 60 Prozent geben in Umfragen Tierschutzgründe an, sie wollten nicht länger eine Massentierhaltung mit all ihren negativen Effekten unterstützen. Dabei müssen große Ställe per se nichts Schlechtes sein, wenn der Halter seinen Job verantwortungsvoll macht. Doch es gibt eben auch zahlreiche Fälle, die Missstände in der Tierhaltung belegen. Die werden jedoch nicht einfach verschwinden, wenn immer mehr Menschen zu Vegetariern oder Veganern werden. Es werden sich immer Abnehmer finden, wenn nicht hier, dann eben im Ausland.
Es ist also naiv zu glauben, dass sich die Probleme in der Tierhaltung allein durch Verzicht in Luft auflösen. Ändern lassen die sich nur, wenn man für eine bessere Tierhaltung kämpft und die Erzeuger unterstützt, die ihre Tiere gut behandeln. Das kostet dann zwar etwas mehr, aber es muss ja nicht jeden Tag Fleisch sein. Weniger ist in diesem Fall mehr, auch für Umwelt und Gesundheit.
Fleischlos essen macht die Welt also nicht zwangsläufig und ganz von allein zu einer besseren. Und nicht alles, was gesund ist, macht auch glücklich. Zum Glücklichsein gehört für viele eben der Sonntagsbraten und eine nette Unterhaltung – und wenn der andere daneben lieber Spaghetti mit Tomatensoße mag, kann das nicht falsch sein. Ideologien haben am Esstisch nichts verloren. Beim Essen muss jeder auf seine Weise glücklich werden dürfen.
Erschienen am 15. Februar 2014 in der Süddeutschen Zeitung.