Sofies verkehrte Welt

Tribunal der Mächtigen: Gefährliche Privilegien

Lange Zeit wurden sie kaum beachtet, doch nun sind sie schwer unter Beschuss geraten: Investorenschutzklauseln und  private Schiedsgerichte. Auch im  Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa, kurz TTIP, spielen sie eine wichtige Rolle. Die Kritik ist berechtigt. Zu viele Konzerne missbrauchen diese Schlichtverfahren – und das geht zu Lasten von Regierungen und Bürgern.

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Die Stühle bleiben leer. Wenn Konzerne Regierungen vor privaten Schiedsgerichten verklagen, haben externe Beobachter keinen Zutritt. Foto: sia

Das große Geschacher findet hinter verschlossenen Türen statt. Wenn Konzerne Regierungen vor den Wirtschafts-Kadi zitieren, sind neugierige Beobachter unerwünscht. Die Rede ist von privaten Schiedsgerichten. Firmen können solche Schlichter anrufen, wenn sie meinen, dass sie von Behörden im Ausland unfair behandel werden und ihre Investitionen dadurch an Wert verlieren könnten. Länder, Städte oder Kommunen können so zu Milliarden-Entschädigungen verdonnert werden, weil sie ihre Flüsse vor giftigen Abwässern bewahren oder den Schutz für Arbeiter verbessern wollen. Solche Verfahren gibt es schon lange, ohne dass die Welt groß davon Notiz genommen hätte.

Doch mit dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union stehen die Sonderrechte für internationale Konzerne plötzlich im Fokus. Während die amerikanische Seite auf Schutzklauseln für Investoren besteht, regt sich in Europa Widerstand. Es zeichnet sich ab, dass die Verhandlungen zumindest in diesem Punkt auf eine Sackgasse zusteuern. Auch die Bundesregierung geht auf Distanz. Sie will die umstrittene Passage zum Investorenschutz am liebsten ganz streichen. Und das ist auch gut so.

Ein durchgesickerter Entwurf zum Investorenschutz im TTIP-Vertrag bestätigt die Befürchtungen der Kritiker. Es ist nicht zu übersehen, dass Großkonzernen auf diesem Weg besondere Privilegien eingeräumt werden sollen. Das Nachsehen hätten nicht nur Regierungen und Bürger, sondern auch Mittelständler und kleinere Firmen – und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. Allein schon deshalb, weil der Zugang zu solchen Schlichterstellen für die Kleineren schwieriger ist, als für multinationale Konzerne.  Zu diesem Schluss kommt auch das wirtschaftsliberale amerikanische Cato Institute, das in Washington großen Einfluss hat.

[box] „Historische Initiative“ mit umstrittenen Klauseln: EU-Kommissar De Gucht reagiert auf die Kritik und will nachbessern. Die Schutzklauseln für Investoren will er einschränken und die Tribunale insgesamt transparenter machen. Doch sie bleiben ein Streitpunkt in den Verhandlungen mit den USA. US-Präsident Obama macht Druck. weiterlesen….[/box]

Schiedsgerichte sind die Tribunale der Mächtigen, und sie werden immer häufiger missbraucht. Ursprünglich waren sie dazu gedacht, Firmen und ihre Investitionen im Ausland vor der Willkür von Regierungen zu schützen, etwa vor einer plötzlichen Enteignung ohne jede Entschädigung. Doch längst geht es in den meisten Fällen darum, unternehmerisches Risiko einfach auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Wenn europäische Firmen Südafrika verklagen, weil das Land nach der Apartheid schwarze Investoren stärker an Firmen beteiligen will, ist das nicht nur schäbig, sondern hat auch wenig bis gar nichts mit Investorenschutz zu tun. Missbraucht wird das Instrument dann, wenn eine deutsche Bank Sri Lanka verklagt, weil sie sich dort auf riskante Finanzgeschäfte eingelassen und dabei verloren hat. Solche Fälle  häufen sich. Darüber beschweren sich selbst Richter solcher Verfahren.

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Die Risiken geheimer Tribunale für die Gesellschaft sind unkalkulierbar. Foto: sia

Fast unbemerkt hat sich in den vergangenen Jahren eine Paralleljustiz entwickelt, die zunehmend an Macht gewinnt und an ordentlichen Gerichten vorbeiurteilt. Das allein muss nicht verwerflich sein. Schiedsgerichte haben sich im täglichen Leben bewährt. Etwa dann, wenn sich Nachbarn über Grundstücksgrenzen oder Erben um ihre Anteile streiten. Hier geht es um Privatangelegenheiten, die sonst niemand etwas angehen.

Verlangt jedoch der schwedische Energiekonzern Vattenfall von der Bundesregierung beinahe vier Milliarden Euro Schadenersatz für den Atomausstieg, dann geht das die Allgemeinheit durchaus etwas an. Schließlich müssen die Steuerzahler die Rechnung begleichen, sollte Vattenfall siegen. Bürger haben also ein berechtigtes Interesse zu erfahren, was da ausgehandelt wird.

Doch genau das ist bei solchen Verfahren nicht vorgesehen. Das größte Schiedsgericht sitzt in Washington. Die Auswahl der drei Richter, die ein Verfahren leiten, ist undurchsichtig. Verhandelt wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Urteile bleiben im Detail geheim und sind nicht anfechtbar. Berufungsinstanzen gibt es nicht. Das ist bedenklich, weil die Tribunale damit der demokratischen Kontrolle entzogen sind.

Die Risiken für die Gesellschaft sind unkalkulierbar. Schutzklauseln für Investoren und Schiedsgerichte sind inzwischen in 3000 völkerrechtlichen Verträgen festgeschrieben. Häufig sind sie so wachsweich formuliert, dass Regierungen kaum noch Gesetze erlassen können, ohne gleich einen Anlass für eine Klage zu liefern. Mehr Schutz für Verbraucher, Umwelt oder Gesundheit kann für Steuerzahler teuer werden, wenn sich Investoren dadurch benachteiligt sehen – eine Spielwiese für kreative Anwälte, die die Justizindustrie längst erobert hat. Ganze Kanzleien haben sich darauf spezialisiert, Regierungen im Auftrag von Konzernen vor Schiedsgerichte zu zerren. Fracking-Verbote oder der deutsche Atomausstieg liefern dafür die Steilvorlagen.

Der Streit um das Freihandelsabkommen bringt diese Fehlentwicklungen nun an Tageslicht. Wenn die USA und Europa enger zusammen rücken, entsteht der größte Wirtschaftsraum weltweit. Hier sollen Bedingungen festgezurrt werden, die als Blaupause für eine neue Welthandelsordnung dienen, mit fairen Spielregeln, die für die Wirtschaft genauso gelten wie für die 800 Millionen Bürger, die davon betroffen ist. Privilegien für Großkonzerne haben in einem solchen Abkommen nichts verloren. Deshalb gibt es nur zwei Lösungen: Entweder werden die Investorenschutzklauseln, so wie sie jetzt geplant sind, ganz aus dem Vertrag gestrichen oder sie müssen grundlegend reformiert werden. Das gilt auch für die Arbeitsweise von Schiedsgerichten. In einer fairen Wirtschaftsordnung darf kein Platz sein für Geheimtribunale und undurchsichtige Richtersprüche.

Veröffentlicht am 23. März 2014 auf sofies-verkehrte-welt.de,
eine kürzere Version ist am 21. März 2014 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.