Die Stunde der Ewiggestrigen
Kleinreden, zaudern und kaputtmachen, so lässt sich das Theater um die Energiewende zusammenfassen. Und jetzt noch die Krimkrise. Für die Ewiggestrigen ein willkommener Anlass, das Vorhaben zu torpedieren. Sie setzen stattdessen auf Fracking in Deutschland und billiges Schiefergas aus Amerika. Beides erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als Illusion. Unabhängiger wird Deutschland nur durch die Energiewende.

Gearbeitet wird mit allen Tricks und Mitteln. Putins am Hand am Gashahn wird plötzlich zu einer unwägbaren Gefahr – eine gute Gelegenheit für alle jene, die nun ihre Chance sehen, auch hierzulande den Widerstand gegen die umstrittene und nicht ganz ungefährliche Fracking-Methode zu brechen. Dazu gehören internationale Energiekonzerne, aber auch große Teile der deutschen Wirtschaft. Aber nicht nur die Bundesregierung ziert sich. Frankreich und einige andere EU-Länder lehnen es ebenfalls ab, Schiefergasvorkommen anzubohren; sie halten die Risiken für Mensch und Umwelt für zu hoch. Doch nun wächst der Druck auf die Regierungen nachzugeben, schließlich geht es um Versorgungssicherheit.
Höchst gelegen kommt da den Fracking-Befürwortern die Unterstützung von US-Präsident Barack Obama. Auch er fordert, dass Europa unabhängiger werden muss von russischen Gaslieferungen. Das an sich ist nichts Neues. Diese Forderung aus Washington ist so alt wie die deutsch-russischen Gasbeziehungen selbst. In den vergangenen vierzig Jahren wurde sie immer wieder gestellt, ohne Erfolg. Doch das könnte sich nun ändern.
Obama erklärt auch, wie er sich diese neue Unabhängigkeit vorstellt: Europäische Länder wie Deutschland müssten endlich die Förderung von heimischem Schiefergas erlauben. Was er nicht sagt ist, dass davon auch amerikanische Förderfirmen profitieren könnten, die auf Fracking spezialisiert sind. Obama bekräftigte zudem, dass sein Land durchaus bereit sei, Europa mit billiger Energie zu beliefern. Der amerikanische Schiefergasboom soll es richten. Doch dafür verlangt er ein Entgegenkommen der Europäer beim heftig umkämpften Freihandelsabkommen TTIP. Ein solcher Vertrag könnte den Export von US-Gas nach Europa erleichtern, stellen die Amerikaner in Aussicht.

Doch was ist dran an solchen Versprechen? Der Verdacht liegt nahe, dass Obamas Aussagen mehr auf politischem Kalkül denn auf harten Fakten beruhen. Die entscheidende Frage ist: Hat Amerika überhaupt die Möglichkeiten einzuspringen, wenn Russland sein Gas künftig in Richtung Osten, also nach China oder Korea leitet? Und welchen Beitrag können deutsche Schiefergasreserven wirklich leisten, um das Land unabhängiger von Importen zu machen? Schiefergas-Enthusiasten wie der US-Bestsellerautor und Industrieberater Daniel Yergin jubeln. Die technisch förderbaren Vorräte der USA würden ausreichen, um die Versorgung für die nächsten hundert Jahre sicherzustellen, meint er. Auch für Exporte sei genug vorhanden. Warnende Stimmen finden in der Euphorie nur schwer Gehör.
Dass die USA Europa und Deutschland von heute auf morgen mit billiger Energie versorgen können, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als gefährliche Illusion. Zwar haben sich mit dem Schiefergasboom auf den Feldern von North Dakota und in anderen Regionen die Machtverhältnisse am Weltmarkt zu Gunsten der USA verschoben. Mit einer Leistung 700 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr hat sich Amerika als größter Produzent vor Russland an die erste Stelle gesetzt.
[box] US-Firmen wollen an Europas Gasvorräte: In den USA lässt sich mit der umstrittenen Fracking-Technologie kaum noch Geld verdienen. Nun schielen die Energiefirmen auf die EU. Mit Lobbyisten und dem Freihandelsabkommen wollen sie sich gegen den Widerstand durchsetzen. weiterlesen….[/box]
Aber selbst das reicht nicht aus, um den Rohstoffhunger des Landes zu decken. Bis zu zehn Prozent müssen die Vereinigten Staaten nach wie vor zusätzlich importieren. Daran wird sich in den nächsten vier Jahren nichts ändern, davon geht selbst die amerikanische Energieagentur EIA aus. Zum Vergleich: Russland fördert drei Mal so viel Gas wie es selbst verbraucht.
Als unwahrscheinlich gilt auch, dass die USA auf absehbare Zeit noch mehr Schiefergas produzieren. Im Gegenteil: Die Förderfirmen spüren den Fluch der billigen Energie. Gas ist so günstig geworden, dass Investoren die Geldzufuhr drosseln, weil sie zu wenig verdienen. 2013 stellten sie nur noch halb so viel Kapital zur Verfügung wie im Jahr zuvor. „Jetzt machen die Aktionäre Druck, die Ausgaben zu reduzieren. Das bedeutet aber, das neue Projekte gestrichen oder zeitlich gestreckt werden“, sagt Werner Zittel von der Bölkow Stiftung. Energiekonzerne wie Shell ziehen die Reißleine. „Für 2014 müssen wir harte Entscheidungen treffen“ heißt es dort. Shell drosselt einige seine Schiefergasprojekte in Nordamerika, andere folgen dem Beispiel. „Das wiederum bedeutet, dass die Förderung zurückgehen wird“, glaubt Zittel. Dann werden auch die Gaspreise wieder steigen und der Traum von der billigen Energie könnte schnell ausgeträumt sein.
Selbst wenn Obama bereit sein sollte, den Gasreichtum seines Landes mit Europa zu teilen: Es wird so schnell keine Tankerflotte mit Flüssiggas die Atlantikroute befahren. Dafür fehlen auf beiden Seiten große Terminals zum Verladen von Flüssiggas. Bis solche Projekte umgesetzt sind, vergehen leicht Jahrzehnte. Zudem erschweren US-Gesetze seit der Ölkrise in den siebziger Jahren den Export heimischer Energie.
Die Fakten sprechen also dagegen, dass Amerika kurz- oder mittelfristig größere Mengen Gas nach Europa liefern kann. Geschweige denn, dass sich das innenpolitisch durchsetzen ließe. US-Konsumenten werden wenig begeistert sein, wenn ihr billiges Gas nach Europa verschifft wird. Denn das würde den Rohstoff auch für sie wieder teurer machen.
Umso lauter werden die Forderungen, dass auch Deutschland endlich seine Schiefergasvorräte angreifen soll. Gerüchte machen die Runde, wonach Europa das neue Gas-Eldorado sei, mit Vorräten, die selbst die der USA noch überträfen. Solche Spekulationen entbehren freilich jeder Grundlage. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften schätzt die deutschen Vorkommen unverändert auf 1300 Milliarden Kubikmeter. Längst nicht alles davon kann auch tatsächlich aus der Erde geholt werden. Laut einer Studie des Bundesumweltamtes könnte Deutschland damit seinen Bedarf gerade einmal 13 Jahre decken. Von einer unabhängigen langfristigen Gasversorgung kann also nicht die Rede sein.
Kaum vorstellbar, dass die Deutschen bereit sein werden, dafür unkalkulierbare Risiken in Kauf zu nehmen. Risiken, die selbst noch künftige Generationen belasten können – und das alles für einen kurzen Gasrausch. Fest steht: Mögliche Versorgungslücken wird Deutschland so nicht füllen können, sollte Russlands Präsident Putin tatsächlich am Gashahn drehen.
Der einzige Weg unabhängiger zu werden, ist die Energiewende. Das zeigen auch die Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Demnach ist Deutschland in den vergangenen Jahren allein durch den Ausbau von Energie aus Wind, Sonne und Wasser unabhängiger geworden von Rohstoffimporten. 2012 wurde mehr als drei Mal so viel an Erneuerbaren gewonnen wie noch zehn Jahre zuvor. Im gleichen Zeitraum gingen die Gas- um Ölimporte leicht zurück.
Je mehr Strom Deutschland also aus erneuerbaren Energiequellen gewinnt, umso schneller sinkt auch der Bedarf an Gas. Eigentlich eine einfache Rechnung, die nicht schwer zu verstehen ist – wären da nicht die Interessen der Ewiggestrigen, die mit ihrem Widerstand den Fortschritt aufhalten wollen, weil der ihre Bilanzen belasten könnte. Sie bringen ein hoffnungsvolles Modell ins Wanken, das weltweit zum Vorbild werden könnte. Die Energiewende läuft Gefahr, im Machtpoker politischer und wirtschaftlicher Kräfte zerrieben zu werden. Für Deutschland als Vorbild für technischen Fortschritt wäre das nicht nur ein großer Verlust, sondern auch eine große Blamage.
Veröffentlicht am 2. April auf sofies-verkehrte-welt.de
In der Süddeutschen Zeitung vom 29./30 März 2014 ist zu dem Thema ein großer Schwerpunkt erschienen