Hosen statt Hilfe – Mode aus dem Ostkongo
Die Schweizerin Sarah Zingg will mit der Firma Moyo Fashion mitten im Krisengebiet Ostkongo ein Modellabel aufbauen. Erste Hosen und Röcke werden bereits in die Schweiz und die USA exportiert.

Seit neuestem näht Roy Matita Hosen. Hosen für Frauen. Dabei findet der 42 Jahre alte Kongolese eigentlich, dass Frauen Röcke tragen sollten. So denken noch viele Männer im Ostkongo. Aber Roy kann mit seinem Job leben. Die Hosen aus der Schneiderei Moyo Fashion in der Provinzhauptstadt Goma sollen Europäerinnen und Amerikanerinnen bekleiden. Zumindest, wenn die Export-Pläne von Firmengründerin Sarah Zingg aufgehen.
Die 33 Jahre alte Schweizerin will mitten im Krisengebiet ein internationales Modelabel kreieren. Erste Hosen und Röcke hat Moyo Fashion schon in die USA und in die Schweiz exportiert. Um die Kosten zu decken, muss die Schneiderei etwa 15 Kleidungsstücke pro Monat ins Ausland verkaufen. Das brächte einen Umsatz von 850 Euro.
Mit Zahlen hatte Zingg bis vor kurzem wenig am Hut. Und Unternehmerin werden, hielt sie für ziemlich abwegig. Aber nun probt sie das Gegenmodell zu den Gepflogenheiten in Goma. Der Ostkongo macht in der Regel mit Krieg, Massenvergewaltigungen, Chaos und Korruption von sich reden. Entsprechend viele Hilfsorganisationen sind in der Region vertreten. Sie sind die wichtigsten Arbeitgeber. Viele unterhalten Projekte, in denen vom Krieg traumatisierte Frauen das Nähen lernen. Dabei geht es aber eher um die Psyche als darum, ein Handwerk zu beherrschen. Entsprechend schlecht ist oft die Qualität der Produkte.
Als Zingg 2011 als Friedensforscherin nach Goma kam, fand sie sofort Gefallen an den bunten Stoffen auf den Märkten. Sie ließ sich Kleider nähen, war aber jedes Mal bitter enttäuscht: „Schlapperhosen, schlecht versäumte Nähte“. Umso mehr besteht sie nun auf Qualität in ihrer Schneiderei.

Für Roy Matita sowie seine beiden Kollegen Karlos Sivaminya und Julienne Sikayako ist das noch ein wenig ungewohnt. „Hier muss ich penibel auf den Millimeter schauen“, erzählt Sikayako. Noch nie zuvor hat sie nach Schnittmuster geschneidert. Aber gerade diese Präzision fasziniert die 30 Jahre alte Kongolesin. „Größe S muss genau 77 Zentimeter um die Taille haben, nicht mehr, nicht weniger“, erklärt sie und lächelt.
Ihr Kollege Roy sagt, er will mit den Kleidern auch ein wenig kongolesische Kultur im Westen verbreiten. „Ihr sollt sehen, dass wir nicht nur den finsteren Krieg haben, sondern Stoffe voll Lebensfreude“, sagt er.
Die Lebensfreude ist im Ostkongo allerdings hart erkämpft. „Nichts funktioniert hier so wie in Europa“, erzählt Zingg. Um alles muss sie ringen, um Strom, Wasser, um Stoffe und Faden. Jedes Mal, wenn sie auf dem Markt Material kauft, muss sie die Preise neu aushandeln. Sie prüft, ob die Etiketten über die Herkunft der Stoffe echt sind, ob das Tuch keine Löcher hat, der Zwirn stabil ist.
Zingg muss hart sein, damit sie den westlichen Standard in ihrer Werkstatt halten kann. Eine befreundete Schneiderin aus der Schweiz hilft ihr dabei. Sie hat die Angestellten von Moyo Fashion in Goma ausgebildet, und sie entwirft die Schnittmuster. Eine andere Freundin in den USA finanziert den Aufbau der Werkstatt mit mehreren Tausend Euro und kümmert sich um das Marketing in den Vereinigten Staaten.
Zingg selbst managt die Firma in Goma ehrenamtlich. Noch ähnelt Moyo Fashion eher einem karitativen Projekt als einer gewinnorientierten Firma. Zingg will Moyo Fashion aber so schnell wie möglich zu einem florierenden Unternehmen aufbauen, damit die Mitarbeiter es in Eigenregie weiter führen und davon leben können, wenn sie eines Tages den Kongo verlässt. Sollte die Schneiderei langfristig keinen Gewinn abwerfen, will Zingg den Laden dicht machen. „Ich will auf keinen Fall ein Projekt, bei dem fremde Geldgeber ständig zuschießen, und die Einheimischen abhängig bleiben. Das bringt den Kongolesen nichts“, sagt sie.
Zingg hat an der Georgetown University in Washington D.C internationale Beziehungen studiert und die meiste Zeit ihres Berufslebens in der Entwicklungszusammenarbeit verbracht. Auch jetzt verdient sie ihr Geld mit Konfliktanalysen für Hilfsorganisationen. Aber sie ist inzwischen skeptisch, was den Nutzen rein karitativer Unterfangen anbelangt. Für sich persönlich hat sie den Schluss gezogen, dass „helfen allein nicht hilft“. Schließlich sei im Ostkongo immer noch keine Ruhe eingekehrt, obwohl humanitäre Organisationen schon seit Jahrzehnten dort arbeiteten, kritisiert sie.
Sie versucht es nun mit einer Kombination aus privatem wirtschaftlichen und sozialem Engagement. Die Angestellten haben ihre Arbeitszeit und den Lohn selbst festgelegt. Sie bekommen jeden Monat 150 Dollar. Das ist im Kongo eine Ausnahme. Viele Chefs bezahlen nur, wenn ihnen gerade danach ist. Wenn das Geschäft gut läuft, will Zingg den Lohn ihrer Schneider aufstocken und weitere Arbeitsplätze schaffen.
Natürlich weiß niemand, ob Moyo Fashion ein Erfolg wird. Aber es ist zumindest ein Versuch. Einer, der von innerer Überzeugung kommt. Nicht umsonst nennt Zingg ihre Schneiderei „Moyo“. Das ist Kisuaheli und bedeutet „Herz“.