Umstrittene Gentechnik: Wir ernten, was wir säen
Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich darauf geeinigt, dass jedes Land in Zukunft selbst entscheiden kann, ob es den Anbau von Gentech-Pflanzen verbieten will oder nicht. Ein Grund zum Jubeln ist das für Gentechnik-Gegner nicht. Denn genau das könnte sich am Ende als Türöffner für die unerwünschte Technologie in Europa erweisen.

Wer hätte das gedacht: Im Streit um Anbauverbote für Gentech-Pflanzen auf Europas Äckern wurden sich die EU-Länder am Ende doch noch einig. Selbst die Bundesregierung, die sich bei dem heiklen Thema meist zurückhaltend zeigt, stimmte dem Anfang Dezember gefundenen Kompromiss in Brüssel zu. Damit steht fest, dass jedes Land in der Europäischen Union künftig selbst darüber entscheiden darf, ob es die Aussaat der unerwünschten Saatkörner verbietet oder nicht. Zwar muss das EU-Parlament noch zustimmen, aber das gilt in dem Fall nur noch als reine Formsache.
Wichtig ist die Entscheidung, weil sie für rechtliche Klarheit sorgt. Bisher bewegen sich Länder wie Deutschland, die den Anbau bereits untersagt haben, in einer Grauzone. Denn ein Verbot steht im Widerspruch zu EU-Recht und ist deshalb anfechtbar. Diese Lücke wird nun geschlossen. Wer jedoch glaubt, dass es damit leichter wird, die umstrittene Technologie aus Europa zu verbannen, liegt falsch. Im Gegenteil. Die neue Regelung könnten sich für Agrarkonzerne wie Monsanto sogar als Türöffner für den europäischen Markt erweisen, der ihnen bisher weitgehend verschlossen bleibt.
Fest steht schon jetzt, dass nicht alle EU-Länder von einem Verbot Gebrauch machen werden. Spanien und Großbritannien zählen zu den offensiven Gentechnik-Befürwortern, einige osteuropäische Länder wie Tschechien oder Bulgarien gelten durchaus als aufgeschlossen, während Frankreich, Österreich und Deutschland Nein sagen – in Stein gemeißelt ist selbst das nicht. Mindestens acht neue Sorten aus dem Gentechnik-Labor stehen in der EU vor der Zulassung – bisher darf nur eine einzige Maissorte angebaut werden. Agrarkonzerne versprechen robuste Pflanzen, die besonders widerstandsfähig gegen Schädlinge und Krankheiten sind. Und es gibt genügend Landwirte, die sie gern anpflanzen würden, etwa um billiges Tierfutter zu liefern, das in der EU knapp ist. Hier lässt sich der Einsatz von Gentechnik prima verschleiern. Milchprodukte und Fleisch von Tieren, die damit gefüttert werden, müssen nicht gekennzeichnet werden.
[box type=“info“] Einigung in Brüssel: Zu gern wollten die großen Agrarkonzerne verbindlich bei Anbauverboten gentechnisch veränderter Pflanzen mitsprechen können. Doch dazu kommt es nun nicht. Stattdessen können EU-Länder in Zukunft selbst entscheiden, ob und wann sie genmanipulierte Pflanzen von ihren Feldern verbannen. weiterlesen…[/box]
Das Drängen der Agrarlobby und der Erzeuger erhöht den Druck auf die Länder, den Weg für einen Anbau frei zu halten, notfalls auch gegen den Willen der Verbraucher. Zudem könnte die EU-Kommission den Beschluss zum Anlass nehmen, künftig deutlich mehr genveränderte Pflanzen zuzulassen, mit dem Argument, dass die einzelnen Nationen mehr Entscheidungsfreiheit bekämen. Die europäische Landkarte könnte so zu einem Flickenteppich werden, auf dem gentechnikfreie Flächen zusehends schrumpfen.
Für viele Verbraucher ist das eine schlechte Nachricht – mehr als drei Viertel der Europäer lehnen Gentechnik im Essen ab, weil sie Gesundheitsrisiken und irreparable Umweltschäden befürchten. Unkalkulierbar sind zudem die ökonomischen Gefahren. Bienen unterscheiden beim Bestäuben nicht zwischen normalen und Gentech-Pflanzen. Erbgut aus dem Labor gelangt so in den Naturkreislauf und findet auch seinen Weg in herkömmliches Saatgut. Anwälte haben daraus in den USA ein Geschäftsmodell gemacht, indem sie Farmer wegen Verstößen gegen den Patentschutz verklagen, wenn sie in deren Ernten Spuren manipulierter Pflanzen finden. Die finanziellen Risiken der Gentechnik werden damit jenen aufgebürdet, die sie gar nicht wollen.
Mit nationalen Anbauverboten allein lässt sich der Feldzug der Gentechnik in Europa nicht aufhalten. Wenn es die Regierungen in Brüssel und Berlin ernst meinen mit ihrem Versprechen, dass sie die Sorgen der Verbraucher ernst nehmen, müssen sie sich schon ein bisschen mehr ins Zeug legen.
Veröffentlicht am 13./14. Dezember in der Süddeutschen Zeitung