Die andere Seite des Kongo: Ein Besuch auf dem spektakulären Vulkan Nyiragongo
Wer den mühsamen Aufstieg am Vulkan Nyiragongo im Kongo auf sich nimmt, der erlebt ein gewaltiges Naturspektakel. Der Lavasee im Krater ist einer der größten der Welt. Die Touristen, die hierher kommen, lernen die andere Seite des Kongo kennen, eine Welt jenseits von Willkür und Gewalt.

Mitten in der Regenzeit auf den Vulkan Nyiragongo zu klettern ist natürlich eine dumme Idee. Nach fünf Stunden Marsch und Gewittersturm empfängt einen der Gipfel mit eisigem Wind und noch mehr Regen. Frieren ist angesagt, fast wie in den Schweizer Alpen auf einem Gletscher.
Aber im Ostkongo gibt nicht das Wetter den Takt des Lebens vor, sondern die Milizen. Anfang des Jahres haben sie wieder einmal einen Wächter des Virunga Nationalparks umgebracht und Dörfer geplündert. Daraufhin hat die Parkbehörde den Vulkan monatelang für Touristen geschlossen. Zuvor tobte der Krieg gegen die Rebellengruppe M23 im Nationalpark, was auch nicht gerade zu einer Wandertour einlud.
Im Moment ist es ruhig in Kibati, dem Dorf am Fuß des Vulkans, wo der Aufstieg beginnt. Die Miliz, die in der Region sonst die Bevölkerung drangsaliert, verhandelt gerade über ihre Entwaffnung. Die Gelegenheit ist also günstig für den Ausflug auf den Nyiragongo. Regenzeit hin oder her.
Jeje, einer der drei bewaffneten Wächter, ermahnt vor dem Aufbruch: „Ihr müsst immer in der Gruppe bleiben und unseren Befehlen gehorchen“. Und er sagt: „Das wird eine sehr schwierige Wanderung“.
Der Krater liegt auf 3470 Metern Höhe, der Start bei 1994 Meter, dazwischen acht Kilometer Natur pur und ein bisschen Sport. Die Italienerin aus Mailand bereut bald, ihre enge Jeans zu tragen. Junge Männer keuchen, eine Touristin klagt über Schmerzen im Knie. Regentropfen kullern mit Schweißperlen um die Wette über die Wangen. Nach jeder Stunde hält Jeje für eine kurze Pause an.
Der Führer warnt vor unangenehmen Begegnungen mit Schimpansen
Ein Trampelpfad führt zunächst durch den Tropenwald. Man solle aufpassen, die Schimpansen könnten schon mal auf einen Menschen los gehen, warnen die Einheimischen. Allerdings sind an diesem Tag scheinbar keine Affen unterwegs. Nach zwei Stunden Marsch gibt der Wald den Blick frei ins Tal. Goma, die Hauptstadt der Provinz Nord Kivu, sieht von oben friedlich aus, dahinter der Kivusee, Wolken am Horizont. Kaum vorstellbar in dem Moment, dass unten im Tal Menschen an Hunger leiden, Soldaten plündern und Frauen vergewaltigen. Das Chaos ist gefühlt so weit weg wie der Mond.
Bald lösen Lavasteine den Lehm ab auf dem Weg. Sie zeugen von den zahlreichen Ausbrüchen, mit denen der Nyiragongo die Menschen in Nord Kivu seit mehr als 100 Jahren immer wieder in Angst und Schrecken versetzt. 1977 sind innerhalb einer Stunde 22 Millionen Kubikmeter Lava auf Goma und die Umgebung eingeprasselt. Mehrere hundert Menschen sind gestorben. Den letzten größeren Ausbruch verzeichnen die Vulkanologen 2002. Damals floss die Lava nur langsam, so dass den meisten Einwohnern die Flucht gelang. Einige Dutzend kamen jedoch ums Leben, Straßen, Häuser und Wasserleitungen wurden zerstört. Noch heute liegen in Goma überall Lavasteine und ein Großteil der Infrastruktur wurde nie mehr aufgebaut, weil diverse Rebellionen dazwischen kamen und das Wohlergehen der Bevölkerung im Ostkongo nichts zählt.
Rebellen überfallen Vulkanologen
Das letzte Stück Weg vor dem Krater ist ziemlich steil. Manche nehmen die Hände zur Hilfe. Oben auf dem Gipfel tut sich plötzlich ein Abgrund auf und endlich liegt er da in einem Loch, einer der größten Lavaseen der Welt. Von der Krater-Kante bis hinunter zum See messen die Vulkanologen 800 bis 1200 Meter, je nach dem wie weit sich die Lava aus dem Erdinneren nach oben schiebt. Sie ist ständig in Bewegung und gleicht einer brodelnden Suppe. Der Nyiragongo ist der aktivste Vulkan Afrikas. Manche sagen, er sei auch der gefährlichste Vulkan.

Die Angestellten des vulkanologischen Observatorium in Goma beobachten den Nyiragongo und messen Erdbewegungen, austretende Gase und Thermik. Sie können einen eventuellen Ausbruch angeblich zwei Wochen vorher erkennen und die Bevölkerung warnen. Ihre Arbeit ist allerdings schwierig. Mitarbeiter des Instituts erzählen, dass Milizen und andere Diebe immer wieder Messgeräte stehlen. Einmal hat eine Rebellengruppe die Vulkanologen sogar auf dem Krater überfallen, als sie einige Tage lang das Verhalten des Lavasees beobachten wollten.
Mit der Dämmerung kommen die Wolken auf den Gipfel. Der Lavasee mit einem Durchmesser von gut einem Kilometern verschwindet im Grau. Die Wandergruppe verzehrt die Speisen und Getränke, die einheimische Träger für sie auf den Berg geschleppt haben. Schnapsflaschen kommen aus den Rucksäcken zu Tage, Wein, Käse, Brot und Obst. Urlauber aus dem Sudan haben einen Koch mitgebracht. Er wärmt eine Suppe auf, und alle rücken unter der Plastikplane zusammen, die er zum Schutz gegen den Regen gespannt hat.
EDer Nebel ist mittlerweile so dicht, dass die Hand vor den Augen nicht mehr zu sehen ist. Wer ins Zelt will zum Schlafen, muss sich vorsichtig über Geröll tasten und aufpassen, dass er nicht über den Kraterrand stürzt. Eine chinesische Touristin ist vor ein paar Jahren auf diese Weise ums Leben gekommen. Die Parkwächter haben Tage lang nach den Teilen ihres Körpers gesucht. Die schroffen Steine haben von der jungen Frau nicht viel übrig gelassen. Ein eisernes Kreuz erinnert an den Unfall.

In der Nacht wird der Himmel klar und Jeje rüttelt alle wach im Zelt: „Jetzt müsst ihr schauen, los, schnell.“ Und tatsächlich, die Lava leuchtet, der See brodelt und brummt. Es kommt einem plötzlich warm vor in der Kälte. Die Augen suchen wie von selbst das glühende Rot. Alle fotografieren, staunen und verstummen. Welch eine Naturgewalt.
Jeje sagt, nur wenige Einheimische haben diese Pracht je gesehen. Selbst wenn sie im Dorf unten am Vulkan wohnen, dürfen sie nicht ohne zu bezahlen auf ihren Hausberg. 180 Dollar kostet der Ausflug für Kongolesen, das ist zu viel für sie. Die meisten sind Bauern, die von der Hand in den Mund leben. Und selbst wer eine Arbeit hat, ist selten gut bezahlt. Jeje zum Beispiel, Vater von fünf Kindern, bekommt ein Gehalt von 140 Dollar im Monat. Dafür muss der Parkwächter sich jeden zweiten Tag auf den Nyiragongo quälen.
Am frühen Morgen beim Abstieg stöhnen schon manche über Muskelkater. Die Italienerin trägt nun Leggings. Und auch der Regen hat aufgehört. Wer nicht aufpasst, rutscht aus auf dem Geröll und landet auf dem Hintern. Jeje und seine beiden Kollegen schmunzeln. Sie stapfen gut gelaunt ins Tal mit ihren abgelaufenen Gummistiefeln. Ihr Job ist hart, aber sie haben den Fremden gezeigt, wie schön die andere Seite des Kongo sein kann, jenseits von Willkür und Gewalt. Und darauf sind sie stolz.