Sofies verkehrte Welt

Der Kampf um Glyphosat: Wenn Leserbriefe von Monsanto als Studie gelten

Wo Glyphosat hinkommt, wächst kein Kraut mehr. Doch das Wundermittel ist umstritten: Das meistverkaufte Pestizid der Welt wird verdächtigt, Krebs zu erregen. Das Bundesamt für Risikobewertung sieht das anders – und stützt sich auf zweifelhafte Studien

Eineinhalb Seiten ist das Schreiben, das der Wissenschaftler Peter Langridge an die Fachzeitschrift Food and Chemical Toxicology geschickt hat. Eineinhalb Seiten, auf denen er Partei ergreift für ein höchst umstrittenes Pflanzenschutzmittel, für Glyphosat, das im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen. Eineinhalb Seiten, die das Magazin in der Rubrik „Letters to the Editor“, Briefe an den Chefredakteur, veröffentlicht.

Sieht so eine wissenschaftliche Studie aus? Und darf man einen solchen Leserbrief als Grundlage für eine andere, weitaus umfassendere Studie nehmen, die Glyphosat als völlig unbedenklich bezeichnet?

Ja, meint das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das dem Bundeslandwirtschaftsministerium unterstellt ist. Seine Aufgabe ist es, die deutsche Regierung in Fragen der Lebensmittelsicherheit und des Verbraucherschutzes zu beraten, dazu gehört es auch, Giftrückstände in der Nahrungsmittelkette zu beurteilen.

Die Krebsforscher der WHO stufen das Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend bei Menschen“ ein.

Für seine Bewertung von Glyphosat, die im Auftrag der Europäischen Union erstellt wurde und die entscheidend ist für die weitere Zulassung in der Europäischen Union, hat das BfR nach eigenen Angaben Hunderte Studien ausgewertet. Es hat die Ergebnisse zusammengefasst und daraus den vorläufigen Schluss gezogen, dass Glyphosat nicht gefährlich ist, also auch keinen Krebs auslöst – auch wenn die Weltgesundheitsorganisation WHO dies ganz anders sieht. Ende Juni hat das Landwirtschaftsministerium auf Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion einen Teil der Studien benannt; die Süddeutsche Zeitung hat diese Liste mit 92 Studien analysiert.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass 14 dieser sogenannten Studien keine Studien im klassischen Sinne sind, sondern Leserbriefe wie der von Peter Langridge. Dennoch führt sie das BfR in einer langen Tabelle auf, die den Titel trägt: „Studien, die das BfR zur Bewertung der Kanzerogenität von Glyphosat verwendet hat“.

Und wenn man noch tiefer bohrt, dann stellt man fest: Zehn dieser 14 Leserbriefe stammen allesamt entweder direkt von Mitarbeitern des amerikanischen Agrar- und Gentechnik-Konzerns Monsanto oder von Absendern, die dem weiteren Umfeld des Konzerns zugeordnet werden können. Monsanto hielt lange die Patente für glyphosathaltige Mittel wie Roundup und ist noch heute einer der größten Hersteller.

So ist Langridge zum Beispiel für ein Forschungsprogramm von Monsanto tätig. Er attackiert in seinem Leserbrief eine kritische Studie über mögliche Krebsrisiken von Glyphosat, die die Fachzeitschrift Food and Chemical Toxicology kurz zuvor veröffentlicht hat, verfasst vom französischen Molekularbiologen Gilles-Éric Séralini. Dem Chefredakteur des Magazins, A. Wallace Hayes, hält Langridge vor, dass es ein Fehler war, diese Studie zu veröffentlichen: „Die Probleme betreffen mehrere Ebenen, und sie lassen Zweifel an Qualität und Standard bei der journalistischen Sorgfalt Ihres Journals aufkommen.“ An anderer Stelle schreibt er: „Ich frage mich, ob dieses Papier überhaupt jemand gründlich gelesen hat.“

Es bleibt nicht der einzige Brief, den Chefredakteur Hayes in jenen Tagen erhält: Das Papier von Seralini habe schwere Defizite, heißt es in einem anderen Schreiben, das drei Seiten umfasst. Unterzeichnet haben den Brief die Wissenschaftler Bruce Hammond, Daniel A. Goldstein und David Saltmiras. Dass sie für Monsanto arbeiten, schreiben sie nicht dazu. Viele dieser Leserbriefe veröffentlichte das Fachmagazin vor drei Jahren, und nun taucht ein Teil davon wieder auf, als sogenannte Studien in einer Liste des BfR.

Die Zulassungen für das Mittel in Europa und den USA laufen demnächst aus.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung genießt weltweit Ansehen. Auch auf EU-Ebene spielt das Institut eine wichtige Rolle. Gerade erst hat es stellvertretend für alle EU-Länder die Risiken von Glyphosat neu bewertet. Grund dafür ist, dass die Zulassungen für das weltweit am meisten verkaufte Pestizid in den nächsten Monaten auslaufen und verlängert werden müssen, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Erneut hat das BfR dabei festgestellt, dass das Mittel unbedenklich sei.

In der Weltgesundheitsorganisation WHO sieht man das ganz anders. Am 20. März hat ein Krebsforscher-Team der WHO festgestellt, dass Glyphosat „wahrscheinlich“ krebserregend ist. Die Arbeitsgruppe der International Agency for Research on Cancer, kurz IARC, mit 17 internationalen Toxikologen hat ihr Urteil sehr deutlich und einstimmig gefällt.

Dass das BfR sogar Leserbriefe als Studien wertet, stößt unter Wissenschaftlern auf Unverständnis. Solche Schreiben seien reine Meinungsbeiträge und keine wissenschaftlichen Arbeiten, heißt es. Die Toxikologin Professor Irene Witte, die an der Universität Oldenburg gelehrt hat, sagt: „Wenn man weiß, dass diese Briefe hauptsächlich aus dem Umfeld von Monsanto geschrieben wurden, liegt der Verdacht nahe, dass das BfR eher die Interessen von Monsanto vertritt, anstatt seiner Aufgabe nachzugehen, Gesundheitsschäden von der Bevölkerung abzuwenden“, sagt sie. Der Grünen-Politiker Harald Ebner kritisiert: „Das BfR will uns ernsthaft Leserbriefe an ein Fachmagazin als Studien verkaufen, die das eigene Urteil vom völlig harmlosen Glyphosat bestätigen sollen.“

Beim Bundesinstitut für Risikobewertung und im übergeordneten Landwirtschaftsministerium will man die Liste mit den Studien als Quellensammlung verstanden wissen. „Unter Quellen sind wissenschaftliche Studien, wissenschaftliche Kommentare, Bewertungen oder Stellungnahmen anderer Institute zum Wirkstoff zu verstehen sowie jegliche fachlichen Äußerungen zum Thema. Dazu gehören auch ,Letters to the Editor’ an wissenschaftliche Publikationsorgane“, heißt es in einer Stellungnahme. Beurteilt werde dabei allein die wissenschaftliche Qualität der zugrunde liegenden Studien und Daten, aber nicht die Herkunft der Informationen. Für das Institut spielt es demnach keine Rolle, wer hinter zitierten Leserbriefen steckt.

Die Krebsforscher der WHO können das Vorgehen der deutschen Behörden nicht nachvollziehen.

Der Leiter der IARC-Krebsforscher-Gruppe in der Weltgesundheitsorganisation, Kurt Straif, kann dieses Vorgehen der deutschen Behörde nicht nachvollziehen. Für seine Experten gelten strengere Kriterien: „Leserbriefe und Interpretationen werden üblicherweise nicht berücksichtigt“, sagt Straif. Stattdessen hätten „die unabhängigen Experten, die zu IARC-Monografien beitragen, die Aufgabe, mit ihrer Expertise die originalen publizierten Studiendaten zu bewerten“.

Unter den Expertengruppen ist nun ein heftiger Streit ausgebrochen. Nach der WHO-Warnung steht die Frage im Raum, wie es sein kann, dass verschiedene Gremien zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen kommen, obwohl sie dieselben Studien auswerten. Selbst innerhalb der Weltgesundheitsorganisation gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das JMPR-Gremium (Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues), das Grenzwerte für Pestizid-Rückstände festlegen soll, kam – anders als die Krebsforscher der WHO – in der Vergangenheit immer wieder zu dem Schluss, dass Glyphosat unbedenklich sei, und setzte die Grenzwerte sogar hoch. Auch die BfR-Experten haben in diesem Gremium zu dieser Einschätzung beigetragen.

Nun soll ausgerechnet ein hochrangiger Mitarbeiter des deutschen BfR diesen Expertenstreit schlichten: Roland Solecki. Er wurde von der WHO berufen, um eine neu eingerichtete Taskforce zu leiten. Die soll klären, warum die beiden WHO-Gremien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Der Grünen-Politiker Ebner sieht darin einen Interessenkonflikt. Solecki habe, so Ebner, über Jahre hinweg eine maßgebliche Rolle im JMPR-Gremium gespielt. „Es kann nicht sein, dass jetzt mit Roland Solecki ausgerechnet der Autor der Glyphosat-Unbedenklichkeitsbescheinigung als oberster Richter darüber befinden soll, was dran ist am Krebsverdacht gegen das Pflanzengift. Ich frage mich, ob da das Urteil nicht schon von vornherein feststeht.“ Die WHO weist den Vorwurf zurück. Es gebe keinen Grund, an der Unabhängigkeit Soleckis zu zweifeln, so ein Sprecher.

Glyphosat-Hersteller wie Monsanto und Syngenta müssen um Milliardeneinnahmen fürchten. „Die Einstufung von Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend für Menschen würde ein Verbot dieses Wirkstoffs in der EU nach sich ziehen. So verlangt es die geltende Verordnung der Europäischen Gemeinschaft“, sagt der Toxikologe Peter Clausing vom industriekritischen Pestizidaktionsnetzwerk Pan. Nur eine Ausnahmeregelung könne das dann noch verhindern.

[box]So geht es weiter: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der Expertenstreit den Fahrplan für die Neuzulassung von Glyphosat in der EU durcheinanderbringen wird. Das IARC-Gremium hat  seine gesamte Untersuchung Ende Juli veröffentlicht.  Ende September will sich der deutsche Bundestag mit dem Thema befassen. Ob die EU-Behörde EFSA wie geplant bis Jahresende ihren Glyphosat-Bericht vorlegen wird, bezweifeln Beobachter. Solang nichts entschieden ist, darf Glyphosat weiter eingesetzt werden.[/box]

Eingesetzt wird das Mittel hierzulande von Landwirten, um lästige Unkräuter vom Acker zu verbannen oder kurz vor der Ernte die Reife von Getreide zu beschleunigen. Die Bahn lässt damit Gleise und Böschungen von lästigem Bewuchs befreien, Hobbygärtner versprühen es ebenfalls. Außerhalb Europas, vor allem in den USA und Südamerika, wachsen gentechnisch-veränderte Pflanzen wie Mais, Soja, Baumwolle oder Zuckerrüben, die gegen den Wirkstoff resistent sind und nur in Kombination mit Glyphosat große Erträge bringen. In der EU ist der Anbau dieser gentechnisch veränderten Pflanzen verboten.

Der Wirkstoff Glyphosat, der weltweit in 750 Präparaten zu finden ist, könnte auch für andere Krankheiten und für Missbildungen bei Neugeborenen verantwortlich sein. Bei nicht-repräsentativen Stichproben in Deutschland wurden Rückstände von Glyphosat in Getreide und Brot gefunden, aber auch in menschlichem Urin und der Muttermilch. Umfassende Studien dazu, die fundierte Ergebnisse liefern könnten, gibt es jedoch bisher nicht.

Das Bundesinstitut für Risikoforschung hält Glyphosat dagegen für unbedenklich: „Es gibt eine Vielzahl von Studien, die keine Hinweise auf eine Anreicherung im Organismus erbracht haben“, schreibt das BfR noch am 26. Juni in einer Mitteilung. Für die von der EU angeforderte neue Bewertung von Glyphosat hat das BfR nach eigenen Angaben mehr als 1000 Studien gesichtet, die weltweit publiziert wurden, darunter 150 Originalstudien der Industrie. Auch die umstrittene Liste mit den 92 Studien sei dafür berücksichtigt worden, heißt es auf Anfrage.

Hier sind die Antworten auf die kleine Anfrage der Grünen zur Gefährlichkeit von Glyphosat. Die Studien stehen in dem PDF-Dokument ab Seite 23; die entsprechende Frage ist die Nummer 33 auf der Seite 14.

 

Erstmals veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung vom 16. Juli 2015

 

Mehr zum Thema:

sueddeutsche.de, 30. Juli 2015:

Behörde hat offenbar Hinweise auf Krebsrisiko ignoriert

Im Streit um die Risiken des Pflanzengifts Glyphosat gerät die zuständige deutsche Behörde weiter unter Druck. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) betont seit Jahren, dass von dem Pestizid kein Risiko für Menschen ausgehe, während etwa die Krebsforschergruppe der Weltgesundheitsorganisation, kurz IARC, den Stoff im Frühjahr als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Nun zeigt ein vertrauliches Dokument des BfR, dass auch der deutschen Behörde Hinweise vorliegen, die durchaus eine krebserzeugende Wirkung in Tierversuchen nahelegen, weiterlesen….