Sofies verkehrte Welt

Autofahren bis nichts mehr geht?

Soweit darf es nicht kommen. Dieselfahrverbote stehen erst am Anfang eines viel größeren Umbruchs. Die Mobilität wird sich in den nächsten Jahrzehnten grundlegend verändern. Die Verkehrswende ist ein Muss, weil das derzeitige Modell an seine Grenzen stößt. Im Wandel liegt aber auch eine große Chance. Intelligente vernetzte Systeme können die Lebensqualität entscheidend verbessern.

 

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Das Erdölzeitalter geht zu Ende, der Klimawandel erfordert ein Umdenken. Foto: TebNad/iStock

DAS PROBLEM:

Nicht nur die Städte sind vom Verkehrskollaps bedroht.

DER IRRTUM:

Von selbstfahrenden Autos wird zu viel erwartet.

DIE LÖSUNG:

Ein neues Leitbild für die Mobilität, mit Vorfahrt für Busse, Bahnen, Radfahrer und Fußgänger.

 

Das Ende des Straßenverkehrs, so wie wir ihn kennen, ist unausweichlich. Das bisherige Modell stößt an Grenzen, die ein „Weiter so“ unmöglich machen. Das bedeutet Abschied nehmen von der alten, lieb gewonnenen Bequemlichkeit, mit dem eigenen Auto jederzeit überall hinfahren zu können. Dieser Abschied bietet jedoch auch die Chance für einen vielversprechenden Neuanfang, der andere, bessere Verkehrskonzepte überhaupt erst möglich macht. Der Verzicht auf den eigenen fahrbaren Untersatz muss nicht zwangsläufig einen Verlust bedeuten. Im Gegenteil. Dieser Verzicht macht den Weg frei für neue Formen der Mobilität und mehr Lebensqualität.

Die Devise für die Zukunft muss lauten: Teilen und vernetzen. Möglich macht dies dies auch die zunehmende Digitalisierung. Sie eröffnet völlig neue Möglichkeiten mobil zu bleiben.

Klar ist auch: Der Widerstand gegen die bevorstehenden Veränderungen wird gewaltig sein. Die Automobilindustrie fürchtet um Absatzmärkte. Weniger Autos auf den Straßen, das bedeutet weniger Umsatz und am Ende womöglich weniger Arbeitsplätze, ein Schreckensszenario auch für die Politik. Die Verlustangst bei Autobesitzern sitzt ebenfalls tief. Das eigene Fahrzeug, jeder Zeit und flexibel einsetzbar, das bedeutet Freiheit, ein Statussymbol auf Rädern, mit dem jeder zeigen kann, was er sein will.

Freie Fahrt für freie Bürger, diesen Slogan prägte in den Siebzigerjahren der ADAC, als im Zuge der Ölkrisen vorübergehend ein Tempolimit von 100 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen galt. Konservative Parteien gehen noch heute gern mit diesem Spruch auf Stimmenfang. Dass die freie Fahrt des Einzelnen immer mehr zu Lasten anderer geht, davon ist in diesem Zusammenhang freilich so gut wie nie die Rede.

 

Das Trugbild von der großen Freiheit

Dabei ist von der großen Freiheit längst nicht mehr viel zu spüren. Sie endet in großen Ballungsräumen oft schon kurz nach Verlassen der Garage in einer Blechkarawane, die zu Peakzeiten im Fußgängermodus dahinschleicht und im wahrsten Sinnen des Wortes jede Menge dicke Luft verursacht. In fast allen Bereichen gehen die CO&sub2;-Emissionen in Europa zurück, nur im Straßenverkehr steigen sie weiter an. Was daran liegt, dass einzelne Fahrzeuge zwar weniger verbrauchen, ihre Anzahl aber insgesamt zunimmt. Der Trend zu schweren, PS-starken Straßenkreuzern hält an, entgegen jede Vernunft.

Was sich kaum ein Politiker zu sagen traut, weil er um Wählerstimmen fürchtet: Die Verkehrswende ist ein Muss.

Dieselfahrverbote, wie sie jetzt in vielen Städten drohen, stehen erst am Anfang eines großen Umbruchs, dem tiefgreifende Einschnitte folgen. Das jetzige Verkehrsmodell ist so ausgelegt, dass es dem Auto Vorfahrt gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern einräumt. Fußgänger, Radfahrer, ja selbst Busse und Bahnen müssen sich all zu oft hinten anstellen. Ein System, das nun an seine Grenzen stößt – und das gleich in mehrfacher Hinsicht.

Dreckige Abgase, Verkehrslärm und verstopfte Straßen belasten nicht nur Umwelt und Klima, sie zehren auch an den Nerven von Stadtbewohnern, Autofahrern und Verkehrsplanern. Hinzu kommt, Auto- und Lieferverkehr hängen am Tropf der Ölindustrie. Ohne den täglichen Nachschub an Diesel oder Benzin stünden viele Räder still. Doch die Ölvorräte gehen in den nächsten Jahrzehnten zur Neige und die Klimaerwärmung verbietet eigentlich schon jetzt ihren Einsatz.

 

Fahrzeuge, die besser ausgelastet werden

Bei allen Veränderungen, es muss niemand befürchten, dass Autos aus dem Straßenbild verschwinden. Doch ihre Zahl wird sich verringern müssen, allein schon um den Flächenfraß durch Parkplätze und Straßen in urbanen wie ländlichen Räumen einzudämmen. Das geht, in dem einzelne Fahrzeuge stärker auslastet und mit anderen Verkehrsmitteln kombiniert. Derzeit steht ein Privat-Pkw mehr als 90 Prozent der Zeit ungenützt herum. Fährt das Auto, ist es im Schnitt nur mit 1,1 Personen belegt, ökonomisch betrachtet ist dies völlig ineffizient.

Wie soll es nun weiter gehen? Wie soll sie aussehen, die Mobilität der Zukunft? Die Ansichten darüber gehen auseinander. Sicher ist, dass harte Auseinandersetzungen das nächste Jahrzehnt prägen werden,wenn es nicht gelingt, rechtzeitig Leitbilder für umweltfreundliche und sozial gerechte Verkehrssysteme zu entwickeln. Auch die Wirtschaft braucht solche Vorgaben, schließlich muss sie die notwendigen Angebote und Produkte entwickeln.

Die Leitplanken für die Verkehrskonzepte der Zukunft muss in einer Demokratie aber die Politik ziehen. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, neue Prioritäten durchzusetzen: zuerst Bahnen, Busse, Radfahrer und Fußgänger, dann erst das Auto. Steuerliche Fehlanreize wie etwa die Pendlerpauschale oder die staatliche Förderung von Dieselfahrzeugen müssen abgeschafft werden.

 

Das hohe Verkehrsaufkommen muss gesenkt werden

Unterdessen wird in der Autoindustrie bereits unter Hochdruck an mobilen Visionen getüftelt. Gemessen an der Reife fossiler Antriebstechnik stecken Elektromotoren und Brennstoffzellen jedoch noch in den Kinderschuhen, auch ihre Massentauglichkeit ist umstritten. Geht es nach den Fahrzeugherstellern, dann übernimmt der Computer über kurz oder lang das Steuer. Autoinsassen können sich dann anderen Dingen widmen, Filme schauen, Bürokram erledigen oder einfach nur entspannen.

Wer allerdings glaubt, dass selbstfahrende Autos die Lösung aller Verkehrsproblem sein können, der irrt. Selbst konservative Studien gehen davon aus, dass sich das Verkehrsaufkommen durch deren Einführung nur noch weiter erhöhen wird. Wer in der Innenstadt keinen Parkplatz findet, könnte sein Fahrzeug allein in der Gegend herumfahren lassen, bis alle Einkäufe erledigt sind. Hat das Kind seine Sportsachen oder die Jacke vergessen, kein Problem, einfach den Wagen losschicken. Kein Platz in der Kneipe für ein Bier mit Freunden, warum nicht ein bisschen durch die Gegend fahren und feiern?

Ziel neuer Technologien sollte es nicht sein,immer mehr Menschen an weiter entfernte Ort zu transportieren, an denen sie immer kürzer verweilen. Menschen brauchen vor allem einfache und kluge Verkehrssysteme in ihrem nächsten Umfeld, also auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, zum Sport oder zur Kinderkrippe. Das ist nicht nur in der Stadt, sondern vor allem in ländlichen Regionen wichtig. Sind beide Lebensräume gut vernetzt, lässt sich auch die Landflucht stoppen – wohnen auf dem Dorf und arbeiten in der Stadt, das lässt sich so gut vereinbaren.

Die Lösung sind intelligente und vernetzte Verkehrsmodelle, mit verschiedenen Transportmöglichkeiten, die wie Zahnräder ineinander greifen. Gut ausgebaute Bahn- Tram und Busnetze, die sich flexibel mit Leihautos oder -rädern kombinieren lassen. Auch hier eröffnet die Digitalisierung völlig neue und individuelle Lösungen. Erst recht auf dem Land. Kleinbusse, die auf Abruf fahren, ersetzen mancherorts schon jetzt am Abend oder an Wochenenden große Linienbusse, die strikt nach Fahrplan fahren. Der Vorteil: Sie kosten Fahrgäste viel weniger Geld als ein Taxi und auch die Gemeinden können so ihre Ausgaben für den Nahverkehr im Zaum halten oder sogar noch ausweiten.

 

Bahnfahren muss einfacher und attraktiver werden

Auch Anbieter wie die Deutsche Bahn können viel tun, um ihre Züge attraktiver zu machen. Platz für Fahrräder im Zug, darüber würden sich nicht nur Berufspendler freuen, wenn es darum geht den Weg von der eigenen Haustür oder Arbeitstelle zu bewältigen. Abstellplätze für Fahrräder an den Bahnhöfen und öffentlichen Räumen müssen ausgebaut und diebstahlsicher gestaltet werden. Ein Gepäckservice für Urlauber und Fernreisende könnte selbst eingefleischte Autofahrer zum Umsteigen in die Bahn bewegen. Wer dann noch auf den letzten Kilometern nahtlos in ein Mitauto oder einen Rufbus umsteigen kann, braucht kein eigenes Auto mehr.

Die Politik muss auf der anderen Seite dafür sorgen, dass der öffentliche Nahverkehr für alle bezahlbar bleibt und leicht nutzbar ist, mit flexiblen Tickets, die mit dem Mobiltelefon gekauft und gezahlt werden können. Kostenloser Nahverkehr, wie ihn nun die Bundesregierung vorgeschlagen hat, ist da keine besonders große Hilfe, auch weil Kommunen dafür das Geld fehlt. Ausgefeilte Lösungen im Nahverkehr kosten Geld. Die Anbieter investieren und wollen verdienen. Nutzer bezahlen in der Regel gern, wenn das Angebot stimmt.

Mit dem Ausbau von Bahn- und Busnetzen, Wegen für Radfahrer und Fußgänger verwischen die Grenzen zwischen öffentlichem und individuellem Verkehr immer mehr. Genau darauf setzten Städteplaner etwa in Madrid, Wien oder Helsinki. Autobahnen oder breite Straßen, die Innenstädte durchschneiden, werden schrittweise zurückgebaut. Autos müssen Platz machen für Grünanlagen, Radwege und neue Trambahnlinien. Parkplätze an Straßenrändern werden in Fußgängerzonen umgewandelt, machen Platz für Grünflächen, Straßencafés und Spielzonen für Kinder. Wer ein eigenes Auto besitzt, dem wird es immer schwerer gemacht hier noch seinen Platz zu finden. Gleichzeitig steigt aber die Lebensqualität für Anwohner und Stadtbesucher. Das Leben kehrt wieder auf die Straße zurück.

 

Das Aussehen der Städte wird sich grundlegend verändern

Dass sich etwas ändern muss, das steht für viele Städte außer Frage, sie ersticken im Verkehrschaos. Auch in Politik und Wirtschaft besteht kaum noch ein Zweifel daran, das sich grundlegend etwas tun muss. Diskussionen wie die um das Dieselfahrverbot oder kostenlosen Nahverkehr stehen ganz am Anfang eines großen Umbruchs, der die nächsten Jahrzehnte prägen wird. Als die Eisenbahn Anfang des 19. Jahrhunderts die Pferdekutsche verdrängte, löste dies nicht nur einen Wirtschaftsboom aus, sondern vereinfachte auch das Reisen. Gut hundert Jahre später revolutionierte die Erfindung des Autos den Alltag der Menschen. Nun steht die nächste Verkehrsrevolution bevor.

Was heute leicht vergessen wird: Jeder dieser Umbrüche war von tiefgreifenden Ängsten begleitet. Der nun bevorstehende Wandel wird nicht nur die Art und Weise der Fortbewegung, sondern auch das Aussehen von Städten verändern, im positiven Sinn.

 

Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung vom 24. Februar 2018