Sofies verkehrte Welt

„Bis zum Abitur konnte ich eine Biene nicht von einer Wespe unterscheiden“

Porträt eines Bienen-Lobbyisten: Imkermeister Thomas Radetzki ist in Berlin und Brüssel kein Unbekannter, er kämpft seit Jahren für die Bienen und gegen Gentechnik und Pestizidindustrie – mit Erfolg.

Thomas Radetzki ist keiner, der sich einfach so abwimmeln lässt. Schon gar nicht von einem Agrarminister, der nicht mit ihm reden will. Wenn es um die Sache der Bienen geht, greift er zu Not auch in die Trickkiste. Wie vor einem Jahr, als der damalige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) in Berlin zur ersten internationalen Bienenkonferenz eingeladen hatte – ein Event, mit 500 Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verbänden. Doch Radetzkis Expertise war nicht gefragt, obwohl sich der Imkermeister seit vielen Jahren auch auf politischer Ebene für den Schutz von Bienen einsetzt. Kurzerhand meldete er sich als Fachjournalist zu einer Pressekonferenz des Ministers an und nutzte die Gelegenheit für eine flammende Rede.

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Dass Thomas Radetzki heute einer der bekanntesten Imker Deutschlands ist, verdankt er einem Zufall. Bis zum Abitur habe er eine Wespe nicht von einer Biene unterscheiden können, sagt er. Foto: sia

Ein Jahr danach bringt ihn die Erinnerung an die Konferenz noch immer in Rage. In den Vorträgen sei es nur darum gegangen, wie stark Pestizide den Bienen und anderen Insekten schaden könnten, und ob sich das überhaupt beweisen lasse. „Dabei steht das längst außer Frage“, schimpft er, „nicht geredet wurde darüber, mit welchen anderen Anbaumethoden in der Landwirtschaft sich das Problem von vorneherein vermeiden lässt“. Ein Irrsinn sei das, findet er. Dabei ist der Mann mit grauen Haaren und Vollbart sowohl in Berlin als auch in Brüssel kein Unbekannter. Gut drei Jahrzehnte war er geschäftsführender Vorstand des Vereins Mellifera, der sich für eine artgerechte und naturnahe Bienenhaltung einsetzt, in dieser Zeit schulte er einige Tausend Imker. Die frühere Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) verlieh ihm 2013 für sein Engagement den Förderpreis für Ökolandbau.

Als vor einem Jahrzehnt Blütenpollen von gentechnisch verändertem Mais im Honig auftauchten, schmiedete Radetzki ein Bündnis zum Schutz der Bienen, das gegen den Freistaat Bayern und den US-Konzern Monsanto, Erfinder der Gentech-Maissorte MON810, vor Gericht zog. Der Fall ging durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) und endete mit einem Sieg für die Imkerzunft. Mitte Mai stand dort erneut ein wegweisendes Urteil an: es wurde über ein Verfahren entschieden, das die Agrarkonzerne Bayer, BASF und Syngenta gegen die EU-Kommission führen, weil diese den Einsatz einiger bienenschädlicher Pestizide, vor allem aus der Gruppe der Neonicotionide, erst teilweise und nun ganz verboten hat. Das sind Stoffe, die mit als Hauptursache für das Bienensterben gelten. Das Urteil fiel erneut zu Gunsten der Bienen und gegen die Industrie aus. Das Gericht stufte das Teilverbot als rechtens ein.

Für Pestizidhersteller geht es um Schadenersatz in Milliardenhöhe

Ganz vom Tisch ist die Sache damit wohl aber noch nicht. Die Industrie wird wohl in Berufung gehen, für die Pestizidhersteller geht es in der Folge um Schadenersatz in Milliardenhöhe, für Radetzki dagegen um die Zukunft der Bienen und vieler anderer Insekten – und noch mehr: „Unseren Enkeln wird es schlecht ergehen, wenn wir nicht lernen, mit der Natur anders umzugehen“, warnt er.

Im Garten einer Gründerzeitvilla im Berliner Grunewald stehen seit kurzem zehn seiner Bienenkästen. Er hat sie aus seiner alten Heimat im Südwesten Deutschlands mitgebracht. Einen Schutzanzug trägt er nicht. Den brauche er nicht, sagt er, als er einen roten Kasten öffnet und die Tiere mit würzigem Rauch besänftigt. „Bienen sind freundliche und rücksichtsvolle Geschöpfe“, sagt er und deutet hinter sich. Tatsächlich scheint über seinem Kopf ein ganzer Schwarm in der Luft zu verharren. „Die warten geduldig, bis ich fertig bin, und fliegen dann den Kasten an.“

Der 63-Jährige hat hier in Berlin eine neue Aufgabe übernommen. Seit zwei Jahren leitet er die Aurelia-Stiftung, die im Grunewald ihren Sitz hat. Gegründet wurde sie auf seine Initiative und die des Bienenvereins Mellifera.  Ziel ist es, in Politik und Gesellschaft für die Honigbiene und ihren Schutz zu werben.

Seit mehr als vierzig Jahren arbeitet Radetzki nun schon mit Bienen. Dass es überhaupt dazu kam, grenzt für ihn fast an ein Wunder. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, „als das noch richtig dreckig war“, wie er sagt. In seinem Elternhaus sei nie Honig auf den Tisch gekommen. „Bis zum Abitur konnte ich Wespen nicht von Bienen unterscheiden.“ Auf die Biene sei er gekommen, als er einen Freund beim Honigkauf in die Eifel begleitete. „Da saß ich dann auf einer Bank neben einem Bienenstock und wusste plötzlich, ich werde Imker.“

„Bis Mitte der 80er-Jahre lebten wir Imker in vergleichsweise paradiesischen Zuständen“

Doch der Weg dahin war ein verschlungener. Feste Strukturen sind Radetzki bis heute ein Gräuel, sein unruhiger Geist treibt ihn an. Nach dem Abitur machte er ein Praktikum an einem Bieneninstitut, stellte sein erstes Bienenvolk am Niederrhein auf und suchte sich erfahrene Imker als Mentoren. Später fuhr er mit einem umgebauten Möbelwagen und seinen Bienen übers Land, arbeitete mit Behinderten und dann für eine paar Jahre auf einem Demeterhof bei Würzburg. In den 80er-Jahren studierte er dann für drei Semester am Priesterseminar in Stuttgart. „Da habe ich gemerkt, dass die Bienen das Stabilste in meinem Leben sind.“ Er wurde sesshaft, zog an die Fischermühle in die schwäbische Kleinstadt Rosenfeld am Rande des Schwarzwalds und gründete den Verein Mellifera mit der Lehr- und Versuchsimkerei Fischermühle. Dort sei ihm auch klar geworden, dass mit den Tieren etwas nicht mehr stimmt. „Bis Mitte der 80er-Jahre lebten wir Imker in vergleichsweise paradiesischen Zuständen“, erzählt er. Ein Pappkarton oder Bienenkorb habe ausgereicht, „die Bienen vermehrten sich ohne großes Zutun und überlebten ohne unsere Hilfe“.

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Neonicotinoide machen Bienen orientierunglso, sie finden dann nicht mehr in ihren Bienenkorb zurück. Foto: fotolia.com

Dann kam die Varroa-Milbe, ein Parasit aus Asien, der Bienen schwer zusetzt und bei Versuchen an einem deutschen Bieneninstitut aus dem Labor entwichen war. Innerhalb weniger Jahren hatten sich der Schädling in ganz Europa ausgebreitet. Und Radetzki begann erfolgreich alternative Methoden zu entwickeln, um die Varroa-Milbe zu bekämpfen.

Vor mehr als 15 Jahren keimte erstmals in ihm der Verdacht auf, dass noch etwas anders die Bienen krank machen muss: Pestizide, die zu der Zeit in der Landwirtschaft immer häufiger eingesetzt wurden. „Ich hatte plötzlich eine bestimmte Art Völkerverluste, die ich mir einfach nicht erklären konnte“, sagt Radetzki. Wie ihm erging es manchem Imker. Inzwischen gibt es viele Studien, die seine Vermutung bestätigen. Eines der von der EU verbotenen Mittel ist Imidacloprid, ein Nervengift, das Bienen orientierungslos und krank macht. „Das Mittel ist 7300-mal so giftig wie DDT“, ergänzt er. Die Aurelia-Stiftung und drei Imkerverbände unterstützen die EU-Kommission bei ihrem Verfahren gegen die Pestizidhersteller.

Die Fronten zwischen Bauern und Agrarindustrie auf der einen Seite sowie Naturschützern und Bienenhaltern auf der anderen, sind verhärtet. Doch Radetzki will vermitteln, nicht spalten. Wer den Landwirten allein die Schuld an der Misere der Bienen geben wolle, sei bei ihm an der falschen Adresse, stellt er klar. „Die meisten Bauern sind durch die EU-Förderpolitik derart eingeschränkt, dass man ihnen keinen großen Vorwurf machen kann.“ Die Lösung liegt für ihn auf der Hand. Die Politik müsse endlich umsteuern, mit einer umwelt- und naturgerechten Agrarförderung, anstatt Subventionen wie bisher vor allem an der Größe der vorhandenen Agrarfläche festzumachen. „Das würde Bauern helfen, keine oder weniger Pestizide einzusetzen – zum Schutz der Insekten und zum Nutzen von uns allen.“

Wie zum Beweis zieht er einen Holzrahmen aus dem Bienenkasten. Hunderte von Bienen, die über gut gefüllte Waben wuseln. Was der Imker da sieht, bereitet ihm Freude. „Es geht ihnen hier gut“, meint er. Was wohl auch daran liegen mag, dass in der Umgebung der Grunewald-Villa keine Felder liegen, auf denen giftige Insektizide eingesetzt werden. Dafür gibt es hier jede Menge Bäume und Büsche, die in voller Blüte stehen, also die besten Voraussetzungen für eine gute Honigernte.

 

Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 6. Mai 2018