Planet im Schlussverkauf
Black Friday ist der Tag des kollektiven Konsumrauschs – ein Irrsinn in Zeiten des Klimawandels. Dass sich dagegen nun Protest regt, ist richtig und wichtig. Und es ist ein guter Anlass, endlich selbst etwas zu ändern.

Black Friday, dieser Begriff stand vor ein paar Jahren noch für einen finsteren Börsentag im Jahr 1929, der in Wirklichkeit ein Donnerstag war. Jener Tag, an dem Händler wie im Rausch Aktien abstießen, in der irrigen Hoffnung, das eingesetzte Geld doch noch irgendwie retten zu können. Ist heute von Black Friday die Rede, geht es zwar auch um einen Rausch, allerdings einen, der mit Geldausgeben zu tun hat.
Wenn am letzten Freitag im November Läden und Online-Shops gestürmt werden, ist es wieder so weit: Es wird gekauft, bis die Kreditkarte nichts mehr hergibt. Ein fragwürdiger Konsumtrend, der wie Halloween aus den USA kommt und inzwischen auch im deutschen Handel ein wichtiger Bestandteil des Weihnachtsgeschäfts ist. In diesem Jahr wird der kollektive Kaufrausch in den Einkaufsstraßen noch ungemütlicher werden als sonst, weil sich zu den Konsumenten Demonstranten gesellen. Die „Fridays-for-Future“-Bewegung hat zu einem großen Klimastreik in Hunderten Innenstädten aufgerufen. Ihr Protest richtet sich gegen die Bundesregierung und deren Klimapaket, tatsächlich eine schwache Leistung der Politik, verabschiedet wider besseren Wissens und gegen jede Vernunft.
Konsumwahn und Zukunftsangst: Zwei Welten prallen so unmittelbar aufeinander. Welten, die von den meisten Menschen, aber auch von manchen Medien völlig getrennt betrachtet werden. Das Ritual ist eingeschliffen: Während die einen Umsatzrekorde im Handel feiern, warnen die anderen vor den verheerenden Folgen der Erderwärmung. Geradeso, als habe das eine mit dem anderen nichts zu tun. Als sei die Erde ein unerschöpflicher Planet und beständiges Wachstum ein Naturgesetz.
Das Dilemma: Beides geht nicht – Klima schützen und grenzenloser Konsum
Dabei hängt beides unmittelbar zusammen. Wächst der Konsum, steigt der Rohstoffverbrauch, Klima und Umwelt werden stärker belastet. Was Wirtschaft und Unternehmen im Einzelnen nutzt, schadet meist dem Klima und der Weltgemeinschaft. Trotzdem ist die westliche Welt nach wie vor dem hemmungslosen Konsum verfallen. Ein Irrsinn, der einem Tanz auf dem Vulkan gleichkommt. Ereignisse wie Black Friday sind überholt, weisen sie doch in die völlig falsche Richtung. Statt sich noch mehr materielle Wünsche zu erfüllen, müssen Verbraucher lernen, maßvoller zu agieren. Dabei mangelt es nicht an Einsicht. Umfragen zeigen, dass sich viele Menschen ein Umdenken wünschen. Trotzdem handeln sie nicht danach.
Dass die Lust am Konsum ungebrochen ist, zeigen Zahlen des Handelsverbands HDE. Demnach erwarten deutsche Händler am Black-Friday-Wochenende 2019 einen Umsatz von mehr als 3,1 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das ein Plus von sagenhaften 22 Prozent. Und der Handel steht mit seinem Rekord nicht allein da. Autohersteller verkaufen übers Jahr hinweg so viele SUV wie nie zuvor, und von Flugscham kann nicht die Rede sein, wie die anhaltend hohen Buchungszahlen belegen.
Wie kann das sein? Es liegt wohl vor allem an dem Widerspruch, den jeder Einzelne in sich trägt und der jeden Tag aufs Neue ausfochten werden muss. Denn viele Menschen wollen einfach beides sein, konsumfreudige und verantwortungsvolle Bürger. Genießer, die sich Wünsche erfüllen, und Bewahrer, denen die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder nicht egal ist. Ein Dilemma, das jeden Eifer, etwas zu ändern, im Ansatz ersticken kann.
Ein Fehler: Einfach abwarten, bis andere das Problem lösen
Und dann gibt es noch die Zweifel und Ausreden: „Was kann ich als Einzelner schon ausrichten, wenn die anderen nicht mitziehen?“ Oder: „Es ist doch eh schon zu spät, um die Krise aufzuhalten, also mach ich lieber weiter wie bisher.“ Es ist so bequem, sich von der Leichtigkeit des Nichtstuns einlullen zu lassen – niemand ist davor gefeit. Die Welt retten, das eigene Leben ändern? „Schaff ich heute nicht! Vielleicht ja morgen oder nächstes Jahr.“ Diese fatale Lethargie zu überwinden ist wohl die größte Herausforderung, der sich jeder Einzelne stellen muss. Einfach ist das nicht, aber auch keinesfalls so schwierig und kompliziert, wie sich so mancher einredet oder einreden lässt.
Abzuwarten, dass Politik, Wirtschaft oder die Mitmenschen das Ganze schon wuppen werden, ist Augenwischerei und vertane Zeit. Jeder kann jetzt sofort bei sich selbst beginnen. Konsumenten haben mehr Macht, als sie glauben, zum Beispiel wenn es um Verpackungsmüll geht. Laut Umweltbundesamt stieg dessen Menge zuletzt auf ein neues Rekordhoch. Auch weil der Trend, sich vieles nach Hause liefern zu lassen, anhält. Knapp die Hälfte des Abfalls fällt somit direkt in privaten Haushalten an. Wer sich also nicht jede Kleinigkeit an die Türe liefern lässt, kann dabei helfen, den Müllberg zu verkleinern.
Anders denken, neue Wege suchen, das kann sich jeder zur Routine machen. Und es fängt im Kleinen an. Etwa mit der Frage, ob es unbedingt sein muss, jeden Tag Wurst oder Fleisch auf dem Teller zu haben, oder ob es öfter mal Spaghetti mit Tomatensauce oder Gemüse sein darf. Denn jeder Einkauf hat auch unmittelbaren Einfluss auf die eigene Klimabilanz.
Es sind die alltäglichen Kleinigkeiten, die sich summieren. Mal schnell das Kind in die Schule fahren, weil es bequemer ist, als zu Fuß zu gehen oder das Rad zu nehmen. Sich ins Auto setzen, weil die Milch fehlt, obwohl der nächste Supermarkt nur ein paar Hundert Meter entfernt ist. Die Waschmaschine halb voll anwerfen, weil das Lieblingsstück unverzichtbar zu sein erscheint. Vieles davon geht auch anders, besser, ohne dass es gleich wehtun muss.
Bei größeren Anschaffungen lohnt es sich, zweimal zu überlegen. Besonders gefragt sind am Black Friday Möbel, elektronische Geräte wie Fernseher, Computer, aber auch Spielzeug und Kleidung. Händler versprechen attraktive Rabatte. Was sie nicht sagen: dass viele Preise im Vorfeld bereits so stark angehoben wurden, dass Verbraucher in Wirklichkeit wenig oder gar nichts sparen. Und muss es wirklich ein neuer Bildschirm sein, nur weil dessen Auflösung ein bisschen besser ist die des alten? Viel zu selten achten Käufer bisher darauf, wie es bei Neuanschaffungen mit dem Stromverbrauch aussieht und wie recyclingfähig solche Geräte sind. Der Preis darf nicht das Maß aller Dinge sein. Wer einkauft, muss lernen, auch die Folgen für Umwelt und Klima besser einzuschätzen. Klar geht das nicht von heute auf morgen, aber es ist machbar.
Wer seine Kaufentscheidungen daran orientiert, unterstützt damit auch Unternehmen, die bereits auf dem Weg sind, nachhaltiger zu produzieren, indem sie etwa Produkte bevorzugen, die eine längere Lebensdauer haben als die von der Konkurrenz. Produkte, die so konstruiert sind, dass sie leicht repariert werden können, und am Ende komplett recycelbar sind. Neue Technologien können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Doch das allein wird nicht reichen. Auch wenn es von Politik und Wirtschaft gern so suggeriert wird: Es geht um die Frage unseres Lebensstils, der sich zweifellos ändern muss, nach der Prämisse: Weniger ist mehr.
Der Ausweg: Die eigene Komfortzone verlassen und selbst anpacken.
Wer glaubt, dass das ohne Verzicht geht, betrügt sich selbst. Trotzdem scheuen sich Politiker aller Parteien, das Wort auszusprechen: Verzicht! Zu groß ist offenbar die Furcht vor dem Verlust von Wählerstimmen. Dabei bedeutet Konsumverzicht nicht weniger Lebensqualität, wenn es bessere Alternativen gibt. So stellen etwa Konsumforscher fest, dass mehr Freiraum und Zeit für die Familie die meisten Menschen glücklicher machen als die Jagd nach dem nächsten ultimativen Schnäppchen.
Wirklich überraschend ist das nicht. Hektisches Suchen nach den günstigsten Angeboten, verbunden mit der Angst, jemand anderes könnte einem zuvorkommen. Dichtes Gedränge in Geschäften und Passagen. All das bedeutet für die meisten Menschen Stress. Wer an solchen Tagen in die Gesichter von Passanten schaut, sieht dort selten ein entspanntes Lächeln. Leichter hat es da, wer seine virtuellen Einkaufswagen zu Hause am Computer vollklickt. Doch auch hier folgt dem Kaufrausch oft ein Kater, der sich am Kontostand ablesen lässt. Und mancher stellt schon nach kurzer Zeit fest, dass ihm die vermeintlich schicken Schuhe oder das neue Sofa gar nicht mehr gefallen.
Das Hochgefühl, das ein Einkaufserlebnis auslösen kann, ist oft schnell verflogen. Auch weil sich Werbeversprechen als trügerisch erweisen. Ein Trick der Hersteller ist es, mit Emotionen zu locken, sei es nun beim Gasgeben im schnittigen Sportwagen oder beim Kauf einer schlichten Tüte Schokokugeln. Dabei haben Forscher längst bewiesen: Das Glück durch Konsum ist eine Illusion.
All das sind gute Gründe, das eigene Einkaufsverhalten und den Lebensstil zu ändern. Auf lange Sicht gibt es dazu auch keine Alternative, es gibt keinen Planeten B. Die Erde ist ein begrenzter Lebensraum, und wenn sich die Menschheit selbst einen Gefallen tun will, muss sie alles daransetzen, diese Grundlage zu erhalten. Jeder Einzelne ist gefragt und in der Pflicht.
Klar muss aber auch sein: Verbraucher können selbst dazu beitragen, einen Wandel in Gang zu setzen. Doch das allein reicht nicht. Es braucht neue Konzepte gegen die Kultur des Wegwerfens und den schnelllebigen Konsum. Zudem ist eine gesellschaftliche Debatte über Ansprüche und Wertmaßstäbe nötig. Unternehmen müssen andere Strategien entwickeln, um nachhaltiger zu wirtschaften. Aufgabe der Politik ist es, die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen.
Ein wichtiger Anstoß muss jedoch auch von den Bürgern kommen. Aufbruch und Umdenken lässt sich mit Verboten und Vorschriften von Seiten des Staates nicht erzwingen. Dafür braucht es Anreize, Aufklärung und gute Argumente, vor allem aber Mut zum Wandel.
Es passt in die Zeit, dass Klimaprotest und Kaufrausch am nächsten Freitag dort aufeinandertreffen, wo es wehtut, mitten in den Städten. Gegensätze und Widersprüche werden so für alle sichtbar. So mancher Black-Friday-Shopper mag sich dadurch gestört fühlen. Doch genau darum geht es: die Wohlfühlzone zu verlassen und sich auf neue Zeiten einzustellen. Je früher, desto besser für alle.
Veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung am 23. November 2019